Die internationalen Zeitungen schauen mit Sorge auf das Attentat in Hanau. Es falle mit dem Riss im Bollwerk gegen die extrem rechten Parteien in Thüringen zusammen, schreibt „El Periódico“ aus Spanien. Die italienische „La Repubblica“ konstatiert gar, dass „Deutschland wieder Angst“ mache.
Die Schweizer „NZZ“ dringt aber darauf, zwischen rechter Demagogie und Rechtsterrorismus zu unterscheiden, ähnlich wie bei Linksterrorismus. Der britische „Guardian“ sieht auch wegen Angela Merkels Abschied turbulente Zeiten auf Deutschland zukommen und mahnt eine Aufrechterhaltung des Sperrgürtels gegen die extrem rechten Parteien an.
„El Periódico“, Spanien: Anschläge sind in Deutschland kein Einzelfall mehr
„Das Schlimmste an dem Anschlag ist, dass es sich nicht um einen Einzelfall handelt. Deutschland, dessen Kanzlerin Angela Merkel sich in der Migrationskrise von 2015 vorbildlich verhalten hat, lebt in bewegten Zeiten mit der Vermehrung von Neonazi-Gruppen und den Wahlzugewinnen der ultrarechten Alternative für Deutschland (AfD). Das Phänomen ist nicht neu, aber in letzter Zeit hat es sich verschlimmert. …
Die Anschlagswelle, die Merkel mit dem Satz ‚Rassismus ist Gift, Hass ist Gift, und dieses Gift existiert in unserer Gesellschaft‘ verurteilt hat, fällt mit dem Riss im Cordon sanitaire (Sperrgürtel) in Thüringen zusammen, den die rechten Parteien in Deutschland immer gegen die extreme Rechte aufrechterhalten hatten.“
„La Repubblica“, Italien: „Das Monster wacht auf“
„Das Monster wacht auf, und Deutschland macht uns wieder Angst. Es macht uns noch mehr Angst, denn es sieht uns ähnlich. Seine soziale Krankheit ist unsere. …
Die Anbindung an die Europäische Union und damit an eine übernationale Struktur, die jede Bestrebung des wiedervereinigten Deutschlands in Richtung Großmacht abwenden sollte, schürt das Wiederaufleben eines aggressiven Nationalismus in einer zerrissenen Gesellschaft, die sich in ihrem Wohlergehen bedroht fühlt.
Genau davor hatte Angela Merkel Angst, als sie das Zusammenwirken ihrer Partei, der CDU, und der Liberalen in Thüringen mit den antieuropäischen Fremdenhassern der Alternative für Deutschland als ‚unverzeihlich‘ bezeichnete. Aber der von der Bundeskanzlerin erwirkte Widerruf der Kooperation hat Teile der deutschen Christdemokraten nicht daran gehindert, weiter der Versuchung zum Dialog mit der extremen Rechten zu erliegen, wie es bereits in Italien und Österreich geschehen ist. Deutschland steht heute bestürzt vor dem Massaker in den Shisha-Bars von Hanau. Und hoffen wir, dass es nicht zu spät ist.“
„NZZ“, Schweiz: Zwischen Terroristen und Populisten unterscheiden
„Die wehrhafte Demokratie vermag allerdings zu unterscheiden zwischen rechter Demagogie im Stil eines Björn Höcke und Rechtsterrorismus wie in Hanau, Halle oder Kassel. Sie konnte das in den Siebziger-Jahren, als eine vernünftige Mehrheit Linksterrorismus nicht mit Linksextremismus gleichsetzte. So wurde die Grundlage gelegt, um die Täter der Rote-Armee-Fraktion gesellschaftlich zu isolieren und den Linksterrorismus zu vernichten.
Vielleicht ist das die größte Tugend des Rechtsstaats: dass er Grenzen definiert, wo andere sie zum Zweck der Propaganda verwischen. Heute wird Deutschland ebenfalls klug genug sein, nicht alles aus einer verständlichen Empörung heraus in einen Topf zu werfen – Terroristen und Populisten.“
„The Guardian“, Großbritannien: Merkels Abschied wird Turbulenzen bedeuten
„Eine der Schlüsselfragen unserer Zeit besteht darin, inwieweit das Ausmaß der Wiederauferstehung des Nationalismus den Rechtsextremismus und tödlichen Rassenhass angefacht und legitimiert hat. Die Sache ist kompliziert. In gewisser Weise ähnlich wie (die rechtspopulistische britische Partei) Ukip hatte die AfD als eine vor allem euroskeptische Partei begonnen.
Doch seit der Migrationskrise von 2015 hat sie sich in eine breitere Bewegung mit starken Elementen verwandelt, die bewusst Islamophobie und Rassismus schüren. … Angela Merkels bevorstehender Abschied von der Bühne bedeutet, dass eine Periode politischer Turbulenzen unvermeidlich ist. Doch während die erfolgreichste Partei der Nachkriegsära in Deutschland über ihre künftige politische Richtung nachdenkt, sollten die Ereignisse von Hanau all jenen stark zu denken geben, die versuchen möchten, die äußerste Rechte zu zähmen, einzubinden oder zu imitieren. Der Sperrgürtel zur Isolierung der AfD und ihresgleichen muss aufrechterhalten werden.“
„De Standaard“, Belgien: Deutschland schien wie das letzte gallische Dorf
„Dass die Regierung das Problem erkennt und benennt – Vizekanzler Olaf Scholz (SPD) sagte, 75 Jahre nach Ende der NS-Diktatur sei der rechte Terror wieder da – ist ein Schritt nach vorn. Denn lange Zeit hat die deutsche Gesellschaft so getan, als ob sie das rechtsextreme Monster gebannt hätte. In den 1960er-Jahren wurde die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) gegründet, schaffte jedoch nie den Durchbruch. Und während im übrigen Europa die rechtsextremen Parteien schnell wuchsen, schien Deutschland das letzte gallische Dorf zu sein, das standhielt. Die Deutschen schienen definitiv ihre Lektion gelernt zu haben. Oder steckten sie nur wie der Vogel Strauß den Kopf in den Sand? …
Obwohl eine große Mehrheit der Deutschen radikal gegen rechtsextremes Gedankengut ist – ‚Wir sind mehr‘, sagen sie –, verbuchte die AfD im vergangenen Jahr in den neuen Bundesländern beachtliche Wahlerfolge. Mittlerweile wurde die Partei vollständig von Leuten übernommen, die ihre Sympathie für die Nazi-Partei kaum noch verbergen.“
„De Morgen“, Belgien: Deutsche sprechen von „Terroristen neuen Stils“
„Experten zufolge sind die Gewalttäter häufig Menschen, die sich im Internet radikalisieren, ohne dass ihre Umgebung davon etwas mitbekommt. Die Deutschen sprechen in diesem Zusammenhang von „Terroristen neuen Stils“, die nicht Teil einer bei den Behörden bekannten Organisation sind, sondern in der Anonymität operieren. Der Mann, der den CDU-Politiker Walter Lübcke erschoss, hatte allerdings Kontakte mit Neonazi-Organisationen. Einer dieser Klubs, Combat 18 (die Zahl verweist auf die Initialen von Adolf Hitler), wurde unlängst verboten.“
„NRC Handelsblad“, Niederlande: Feindseligkeit in der Mitte der Gesellschaft
„Es wirkt ironisch, dass Politiker der rechtsradikalen AfD selbst gern argumentieren, ihre Partei sei ‚in der Mitte der Gesellschaft‘ angekommen. Sie meinen das positiv und wollen damit sagen, dass ihr Anhang aus breiten Kreisen der Bevölkerung kommt. Doch parallel zum Aufschwung der AfD gilt in der Mitte der deutschen Gesellschaft die Feindseligkeit gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund immer weniger als ein Tabu. Das zeigt sich vor allem in einer unverblümt hasserfüllten Sprache – im Internet sowie bei politischen Versammlungen.“
„El Mundo“, Spanien: Anschlag von Hanau ist Folge von Populismus
„Nach zwei Weltkriegen und den blutigen Erfahrungen des jüdischen Holocausts und des sowjetischen Gulags, die durch die zerstörerischsten utopischen Projekte des 20. Jahrhunderts – den Nationalsozialismus und den Kommunismus – hervorgerufen wurden, glaubte man, Europa sei endgültig gegen Kriegsgelüste geimpft. Die tiefe Wirtschaftskrise … und das daraus resultierende Misstrauen der Bürger gegen Gemeinschaftsinstitutionen, die sich als unfähig erwiesen haben, mit den Folgen umzugehen, haben die intoleranten Einstellungen wieder aufflammen lassen, die von den Hassreden des Nationalismus, von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit noch angeheizt werden.
Die beiden Schießereien, bei denen am Mittwochabend in der deutschen Stadt Hanau elf Menschen ums Leben kamen, sind die tragische Folge des europaweiten Erwachens des Populismus und der extremen Rechten, die bei den europäischen Wählern immer mehr Unterstützung finden.“
„Tages-Anzeiger“, Schweiz: Die rassistische Hetze in der Gesellschaft sichtbarer als jemals zuvor
„Die Gefahr ist aber auch gewachsen, weil rassistische Hetze in der Gesellschaft heute verbreiteter und sichtbarer ist als vermutlich jemals zuvor seit Bestehen der Bundesrepublik. Im Internet wird Einwanderern, vor allem Muslimen, tausendfach Deportation, Gewalt oder Tod angedroht. Bei Pegida in Dresden, bei den Neuen Rechten, bei den sogenannten Reichsbürgern und auch bei manchem Politiker der Alternative für Deutschland werden Woche für Woche rassistische Parolen laut, die nicht viel weniger aggressiv und menschenverachtend tönen als jene des rechten Terroristen von Hanau. …
Die potenziellen Terroristen zu fassen und die gewaltbereiten Szenen in den Griff zu bekommen genügt deshalb nicht. Die Behörden müssen auch stärker gegen Hetze und Übergriffe im Internet und auf der Straße vorgehen, notfalls mit schärferen Gesetzen. Der Gefahr aber, dass der immer hemmungslosere Hass auf ‚Fremde‘ schleichend das Gemeinwesen vergiftet, kann nur die deutsche Gesellschaft als Ganzes begegnen. Für einen Aufstand der weltoffenen Mehrheit ist es höchste Zeit.“
„Al-Dschasira“, Katar: Top-Story, wenn der Täter Muslim gewesen wäre
„Ein tödlicher Angriff eines rechtsextremen Schützen in der deutschen Stadt Hanau hat Schockwellen um die Welle geschickt. Trotz starker Reaktionen von politischen Führern, darunter auch Deutschlands Kanzlerin Angela Merkel, weisen einige Nutzer in den sozialen Netzwerken darauf hin, dass die Antwort auf diese Geschichte ein wenig gedämpft war. Sie hätte mehr Aufmerksamkeit bekommen, wenn der Angreifer ein Muslim gewesen wäre. US-Präsident Donald Trump, der sonst Angriffe von Menschen mit muslimischen Hintergrund schnell verurteilt, hat den Zwischenfall bislang noch nicht kommentiert.“
„The Times“, Großbritannien: Extreme Rechte lange unterschätzt
„Das deutsche Innenministerium schätzt, dass es im Land jetzt 12.700 Rechtsextremisten mit einer Neigung zur Gewalt gibt. Das allein wäre schon eine große Herausforderung. Aber zwei Faktoren machen die Sache noch schwieriger. Der erste ist, dass verschiedene Stränge der extremen Rechten sich anscheinend im Internet kreuzen und dass Einzelgänger leicht Zugang zu einem Arsenal an Kontakten, Anleitungen für Waffen und rassistischen Doktrinen finden.
Der zweite besteht darin, dass Deutschlands Sicherheitsapparat viele Jahre lang darauf ausgerichtet wurde, sich auf die vom islamistischen Terrorismus ausgehende Bedrohung zu konzentrieren. Kritiker argumentieren, dass er lange Zeit zu selbstgefällig – oder gar vorsätzlich blind – auf das Aufkommen einer flexiblen, heterogenen und internationalisierten extremen Rechten reagierte und es daher versäumte, angemessene Ressourcen für deren Überwachung bereitzustellen.“
„L'Alsace“, Frankreich: Normales Image
„Sein Name war Tobias, er war 43 Jahre alt und studierte Management. Hinter dem reibungslosen Image dieses in jeder Hinsicht scheinbar guten Deutschen steckte in Wirklichkeit ein offen rassistischer Mann, ein Anhänger von Verschwörungstheorien. Tobias R. ging von der Ideologie zur Praxis über und ermordete neun Menschen aus rassistischen Motiven (...). Islamismus auf der einen Seite, Glaube an die Vorherrschaft der Weißen auf der anderen... Es gibt keine Hierarchie im Schrecken eines Terroranschlags (...).“
2020-02-21 08:47:00Z
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