Seit etwas mehr als 100 Jahren gibt es die Zeitumstellung. In vielen, vor allem westlichen Industrienationen, wird die Uhrzeit schon seit Jahrzehnten zweimal im Jahr umgestellt: Im Frühjahr eine Stunde vor, im Herbst eine Stunde zurück. In der Nacht vom 26. auf den 27. Oktober ist es wieder soweit. Durch die Umstellung soll im Sommer die Zeit mit Tageslicht maximiert werden, angeblich die Produktivität steigen und der Energiebedarf sinken. Und natürlich ist es auch einfach schön, wenn es im Sommer noch eine Stunde länger hell ist.
Wissenschaftlich sind die Argumente für die Sommerzeit recht schwach. Eine Energieersparnis gibt es Untersuchungen zufolge wenn, dann nur minimal. Stattdessen gibt es Studien, wonach die Zeitumstellung zu Schlafstörungen und anderen gesundheitlichen Problemen führen kann. Deshalb haben sich inzwischen viele Länder von der Zeitumstellung verabschiedet. Auch in der EU gilt die Abschaffung nur noch als eine Frage der Zeit: Das EU-Parlament hat in diesem Jahr dafür gestimmt, doch es könnte noch bis 2021 dauern, bis die Uhren in Deutschland zum letzten Mal umgestellt werden.
Nicht nur in der EU ist die Sache mit der Zeit ein emotionales Thema. Seit Jahrhunderten beschäftigt das Thema die Menschen und hat dabei so manche kuriose Geschichten geschrieben. Zum Ende der diesjährigen Sommerzeit erzählen wir sieben von ihnen – anhand von Zahlen.
64.050.000 Pfund Kerzenwachs könnten 100.000 Familien in Paris im Jahr 1784 sparen, wenn sie früher aufständen und zu Bett gingen.
Das behauptete jedenfalls Benjamin Franklin. Seine Berechnung war nicht wissenschaftlich, sondern erschien 1784 als Satire im Journal de Paris. Trotzdem gilt sie gewissermaßen als ein theoretischer Vorläufer der Sommerzeit: Franklin, der damals in Paris lebte, argumentierte, dass es produktiver und kostensparender sei, das Tageslicht besser auszunutzen. Er schlug allerdings nicht vor, die Uhrzeit umzustellen, sondern empfahl unter anderem kollektives Kanonenschießen, um die Stadt frühmorgens aus ihrem Schlaf zu reißen, sowie eine Steuer für Fensterläden einzuführen. Man darf vermuten, dass diese Vorschläge außerhalb der Bourgeoisie nicht ganz so angekommen wären.
265.583.960 Plays hat der Song "Clocks" von Coldplay auf Spotify. (Stand: 22.10.2019)
"The lights go out and I can't be saved", singt Chris Martin zu Beginn des Songs. Ob es sich dabei um eine Anspielung an die Zeitumstellung handelt, ist nicht bekannt. Was aber bekannt ist: Chris Martins Ur-Ur-Großvater war der Londoner Arbeiter William Willett, der als erster ernsthafter Verfechter der Sommerzeit in Europa gilt (in Neuseeland war der Insektenforscher George Hudson einige Jahre früher dran). Willett empfahl 1907 in seinem Pamphlet The Waste of Daylight, jeweils an vier aufeinanderfolgenden Wochenenden im April den Uhrzeiger um 20 Minuten nach vorne zu stellen und im September wieder zurück. Obwohl Willett einige Politiker in London überzeugen konnte, erhielt die Gesetzesänderung keine Mehrheit im britischen Parlament. Willett starb im Jahr 1915. 87 Jahre später landete sein Ur-Ur-Enkel Chris Martin mit seiner Band Coldplay einen weltweiten Hit, in dem es um tickende Uhren ging.
3.696 Stunden dauerte die erste Sommerzeit im Deutschen Reich.
Während die Briten noch über die Zeitumstellung stritten, machte Wilhelm II. Ernst: Als erste Nation führte das Deutsche Reich am 30. April 1916 die Sommerzeit ein. Sie dauerte bis zum 1. Oktober und somit 154 Tage beziehungsweise 3.696 Stunden. Die Gründe waren nicht ganz so schön: Es herrschte der Erste Weltkrieg und die deutschen Befehlshaber erhofften sich in Zeiten, in denen fast alles knapp war, durch die Zeitumstellung Energie an Sommerabenden zu sparen. Wenig später folgten Großbritannien und Frankreich, später auch die USA, Russland und weitere Länder. Nach dem Krieg setzten viele von ihnen die Sommerzeit wieder aus, nur um sie im Zweiten Weltkrieg wieder einzuführen. Überhaupt ist die Sommerzeit in vielen Ländern traditionell ein Hin und Her: In der Türkei etwa wurde die Sommerzeit in den vergangenen 100 Jahren neunmal eingeführt und wieder abgeschafft – Rekord!
70 Staaten verwenden die Sommerzeit derzeit.
Mit Ausnahme von sieben Staaten (Australien, Neuseeland, Chile, Fidschi, Samoa, Paraguay und das australische Überseegebiet der Norfolk-Inseln) befinden sich alle von ihnen in der nördlichen Hemisphäre. Der Grund: An Tagen im Sommer ist es längere Zeit hell (und im Winter für eine kürzere Zeit), je weiter man sich vom Äquator entfernt. Das gilt zwar sowohl in nördlicher als auch südlicher Richtung, aber weil sich die meisten Industrienationen in der nördlichen Hemisphäre befinden und die Zeitumstellung lange im Hinblick auf Produktivität erklärt wurde, sind vor allem sie es, die mutmaßlich von einer Sommerzeit profitieren.
50,82 Kilometer Luftlinie sind die israelischen Städte Haifa und Tiberias voneinander entfernt.
Am 5. September 1999 gegen 17:30 Uhr explodierten in beiden Städten Autobomben. Statt Zivilisten starben drei palästinensische Attentäter. Eine Rekonstruktion des geplanten Anschlags ergab, dass offenbar die Zeitumstellung Schlimmeres verhinderte: So hatte Israel kurz zuvor von der Sommer- auf die im Volksmund Winterzeit genannte ursprüngliche Zeit umgestellt. Die Terroristen aus dem Westjordanland taten das offenbar nicht. Jedenfalls fragten die Überbringer der Bomben nicht nach, nach welcher Uhrzeit sie sich richten sollten. Deshalb explodierten die Sprengsätze noch auf dem Weg zu ihren Zielen. Man könnte sagen, die Sommerzeit habe Leben gerettet. Und die Terroristen erhielten – so makaber es ist – posthum einen Darwin Award.
2.600.000.000 US-Dollar Umsatz mit Süßigkeiten wurde in den USA im vergangenen Jahr für Halloween prognostiziert.
In keiner anderen Woche, auch nicht an Weihnachten, landet nach Angaben der National Confectioners Association, dem amerikanischen Verband der Süßwarenhersteller, mehr Geld für Süßes und Saures in den Kassen der Supermärkte. Was das mit der Sommerzeit zu tun hat? Eine ganze Menge, denn es war unter anderem die amerikanische Süßigkeitenlobby, die bereits Anfang der Achtzigerjahre forderte, den Zeitpunkt der Umstellung um eine Woche nach hinten zu verschieben, sodass auch der 31. Oktober noch in die Sommerzeit fiele. Ihre Annahme: Je länger es hell sei, desto länger würde das Trick-or-treating dauern und desto mehr Süßigkeiten würden verkauft. Damals wurden ihre Argumente nicht erhört, doch 2007 gab es tatsächlich eine Änderung: Seitdem findet die Umstellung in den USA stets am ersten Sonntag im November – und somit nach Halloween – statt. Ob sich deshalb seither mehr Süßes verkauft, lässt sich nicht feststellen. Spürbar war bei den Verkaufszahlen ein Rückgang durch die Finanzkrise im Jahr 2008, in den vergangenen Jahren stiegen die Absätze auf Rekordhöhe.
68 Prozent der Stimmen kamen bei einer EU-Umfrage, ob die Zeitumstellung abgeschafft werden soll, aus Deutschland.
Insgesamt beteiligten sich an der Onlineumfrage im August 2018 4,6 Millionen Menschen. Sie gilt schon deshalb nicht als repräsentativ, weil die Anzahl der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus den EU-Staaten extrem unterschiedlich war: 3,79 Prozent der deutschen Bevölkerung machten bei der Umfrage mit, was wiederum 3,14 Millionen Menschen sind. Im Vergleich haben gerade einmal 25.000 Italienerinnen und Italiener abgestimmt. Die Umfrage zeigt allenfalls, dass sich vor allem die Deutschen eine dauerhafte Sommerzeit wünschen. Auch dieses Ungleichgewicht ist ein Grund, weshalb die EU-weite Abschaffung der Zeitumstellung wohl noch dauern wird. Denn obwohl das EU-Parlament mehrheitlich für die Abschaffung stimmte, benötigen die Mitgliedsländer noch Zeit, um darüber zu beraten, wie genau diese aussehen soll, also ob sie etwa dauerhaft Winter- oder Sommerzeit wollen.
Wer also hofft, an diesem Sonntag zum letzten Mal die Uhr zurückzudrehen, könnte enttäuscht werden: Noch ist nicht ausgeschlossen, dass es auch im kommenden Jahr eine Winter- und Sommerzeit gibt. Die illustre Geschichte der Zeitumstellung, sie kann also noch um weitere Anekdoten ergänzt werden.
Lesen Sie hier mehr zu Sommerzeit und Winterzeit, den gesundheitlichen Folgen des Wechsels und wann dieser in Europa abgeschafft wird.
2019-10-26 08:21:04Z
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