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Brexit: Nichts läuft nach Plan - ZEIT ONLINE

Brexit: Nichts läuft nach Plan - ZEIT ONLINE

Nichts läuft nach Plan – Seite 1

Man mag es kaum schreiben, weil man es schon so oft geschrieben hat, aber es stimmt wirklich: Diese Woche ist entscheidend im Brexit-Drama. Ob Abgeordnete, Premierminister Boris Johnson oder der Sprecher des Unterhauses Johns Bercow: Sie müssen jetzt alle Tricks und Winkelzüge kennen, mit denen im britischen Parlament gespielt werden kann. Eine falsche Entscheidung kann darüber bestimmen, ob Großbritannien die EU verlässt – oder sogar nicht.

Die Ausgangslage ist kompliziert genug: Nachdem sich Johnson und die EU vergangene Woche auf einen Austrittsvertrag geeinigt haben, muss dieser nun ratifiziert werden. Drei Schritte sind dafür insgesamt nötig: Das britische Parlament muss den Vertrag annehmen (Schritt eins) – daran aber ist Johnsons Vorgängerin Theresa May bereits dreimal gescheitert. Zudem muss das Gesetz, das diesen Vertrag in britisches Recht ummünzt, im ganz normalen Gesetzgebungsverfahren vom Unter- und Oberhaus des Parlaments verabschiedet werden (Schritt zwei). Dabei kann es aber durch Anträge der Abgeordneten abgeändert werden, wenn eine Mehrheit der Abgeordneten zustimmt. Erst wenn dieses Gesetzespaket vom Parlament angenommen und von der Königin abgesegnet wurde, ist der Brexit von britischer Seite aus ratifiziert. Dann erst kann die EU, Schritt drei, den Brexit-Vertrag ratifizieren – und der geordnete Austritt findet am 31. Oktober statt. In zehn Tagen.

Hier läuft kaum etwas nach Plan

Es läuft aber nicht alles nach Plan, vor allem was den Ablauf der Abstimmungen im britischen Parlament betrifft: Am vergangenen Sonnabend sollten die Abgeordneten eigentlich den Austrittsvertrag absegnen. Das Parlament aber stimmte dem Antrag des Abgeordneten Oliver Letwin zu und verschob die Abstimmung. Das Misstrauen ist groß: Das Parlament will sicher sein, dass das Gesetzgebungsverfahren (Schritt zwei) abgeschlossen wird und klar ist, dass nichts und niemand den Brexit mehr torpedieren kann. Denn sonst würde am 31. Oktober wieder ein No Deal drohen.

Boris Johnson musste daher am Wochenende bei der EU um eine Fristverlängerung bitten. Den dazu gesetzlich erforderlichen Brief hat er zwar abgeschickt, aber nicht unterschrieben. Johnson ergänzte sogar den Brief um ein Schreiben, in dem er anmerkt, dass er eine weitere Fristverlängerung ausdrücklich nicht wünsche. Der schottische Gerichtshof wird heute klären, ob Johnson trotz fehlender Unterschrift die gesetzlichen Anforderungen erfüllt hat oder ob ein gültiger Brief per Gerichtsbeschluss folgen muss – es sieht allerdings danach aus, als ob die Vorgaben erfüllt sind. Im Gesetz ist festgelegt, dass Großbritannien eine Fristverlängerung bis Ende Januar 2020 wünscht. Die EU muss diesem Antrag nun zustimmen, wann sie das aber tun wird, haben die EU-Botschafter vorerst offengelassen. 

Am Montagnachmittag wird Boris Johnson noch einmal versuchen, seinen Deal mit der EU, den Austrittsvertrag, vom Parlament absegnen zu lassen. Er weiß, dass es am Dienstag zahlreiche Versuche der Abgeordneten geben wird, das dazugehörige Gesetz entscheidend abzuändern. Jede Änderung kann ihn dann Stimmen bei einer späteren Abstimmung über den Vertrag – und bei der von ihm geplanten nächsten Parlamentswahl – kosten. Die Abstimmung über den Vertrag am Montag könnte extrem knapp ausfallen: Alle Oppositionsparteien und die nordirische DUP wollen gegen Johnsons Vertrag stimmen. Aber die Konservative Partei und aktuell etwa acht Brexit-Anhänger von Labour befürworten den Deal von Johnson. Sie alle wollen das Gezerre um den Brexit endlich beenden.

Das Problem: Der Parlamentssprecher John Bercow könnte eine erneute Abstimmung über den Austrittsvertrag an diesem Montag ablehnen. Schließlich darf ein Premierminister dem Parlament nicht immer wieder die gleichen Entwürfe zur Abstimmung vorlegen. Schon Theresa May scheiterte an dieser Regel aus dem Jahr 1604. Bercows wichtigstes Argument könnte sein, dass ein erneuter Abstimmungsversuch den Beschluss des Parlamentes konterkarieren würde, erst einmal das Verfahren über das Austrittsgesetz abzuwarten. Johnson weiß das, könnte aber Bercow und dem Parlament vorwerfen, für die ewigen Verzögerungen des Brexits verantwortlich zu sein.

Was wäre der Ausweg für Johnson?

Genau darüber, also über das Brexit-Gesetz (Withdrawal Agreement Bill, WAB), soll das Parlament am Dienstag debattieren und entscheiden. Schon jetzt ist klar, dass es etliche Änderungsanträge geben wird. Sie haben entscheidenden Einfluss darauf, welche Abgeordneten letztlich noch dem Brexit-Vertrag (Schritt eins) zustimmen werden. Die Labourpartei etwa besteht darauf, dass die EU-Standards im Sozialbereich, am Arbeitsplatz und im Umweltschutz im Gesetz aufgenommen werden. Das hatte bereits Theresa May vorgesehen, es war aber in der Johnson-Version des Gesetzes wieder gestrichen worden.

Labour wird aber auch versuchen, die Grundstruktur des Brexits zu ändern: Johnson hatte vergangene Woche mit der EU vereinbart, dass Großbritannien die EU-Zollunion und den EU-Binnenmarkt verlässt – ganz im Sinne der Hardliner. May hatte dagegen verhandelt, dass Großbritannien mit der EU ein einheitliches Zollgebiet bilden würde, um eine Spaltung der irischen Insel zu verhindern und die Folgen für die Wirtschaft abzumildern. Johnson will dagegen ein klares Ende aller Zollvereinbarungen. Dies würde für Produktionsunternehmen in Großbritannien große Probleme aufwerfen, sollte nicht zügig ein Freihandelsabkommen abgeschlossen werden. Labour will daher einen Antrag stellen, dass Großbritannien weiterhin ein einheitliches Zollgebiet mit der EU bildet und eng an den europäischen Binnenmarkt angeschlossen bleibt. Es ist durchaus möglich, dass eine Mehrheit des Parlaments diesen Vorschlag unterstützt.

Das aber hätte enorme Folgen, denn die Brexit-Hardliner der Konservativen Partei würden ihre Unterstützung zurückziehen – sie pochen auf einen radikalen Schnitt. Johnson könnte seinen Deal also nicht ratifizieren, der Brexit würde am 31. Oktober nicht stattfinden. Es wäre genau das, was Labour sich wünschen würde: Die Opposition könnte ihn lächerlich machen als der Premier, der eben nicht sein Versprechen "get brexit done" halten konnte. Johnson könnte dem Parlament etwa weitgehende Mitspracherechte bei den anschließenden Verhandlungen über das Freihandelsabkommen mit der EU anbieten. Aber ob das ausreicht?

Zweites Referendum noch nicht vom Tisch

Auch die Idee, den Brexit an eine zweite Volksabstimmung zu koppeln, ist noch nicht vom Tisch, möglicherweise gibt es auch dafür einen Änderungsantrag. Diesen Vorschlag unterstützen nicht nur Labour und die Liberalen, sondern auch einige unabhängige, konservativen "Rebellen", wie etwa Dominic Grieve. Ein zweites Referendum wäre für Johnson eine Katastrophe. Die jüngsten Umfragen zeigen, dass eine, wenn auch knappe, Mehrheit der Briten mittlerweile dafür ist, in der EU zu bleiben. Vor allem ein harter Brexit mit Austritt aus der Zollunion und dem Binnenmarkt, wie ihn Johnson ausgehandelt hat, würde wohl in einer Volksabstimmung abgelehnt werden. Damit wäre der Brexit vom Tisch. Bei einer Wahl bräuchte Johnson gar nicht mehr antreten, er würde sicherlich verlieren. 

Die Änderungsanträge des Parlaments entscheiden also über die politische Zukunft von Boris Johnson. Was kann er tun? Er könnte die Abstimmung über das Brexit-Gesetz zurückziehen. Er könnte auch zu Neuwahlen aufrufen nach dem Motto: "Ich habe alles versucht. Ich habe sogar mit der EU einen neuen Deal aushandeln können. Aber es ist wieder das störrische Parlament, das nicht mitzieht. Wählt mich, gebt mir eine Mehrheit, mit der ich endlich den Brexit durchziehen kann, ohne von jedem remainer im Parlament abhängig zu sein." Vielleicht hätte er damit sogar Erfolg.

Oder: Johnson würde Änderungen wie zum Beispiel die Zollunion akzeptieren und den Brexit durchziehen. Dann könnte er bei anschließenden Neuwahlen eine deutliche Mehrheit erzielen. Mit dieser Mehrheit könnte er zum Beispiel die Variante des gemeinsamen Zollgebiets mit der EU wieder kippen. Schließlich müsste er dies ohnehin zuerst mit der EU verhandeln. Diese Woche hängt also alles von den Verhandlungsstrategien im Parlament ab. Wieder einmal also eine entscheidende Woche. Und wieder einmal mit offenem Ausgang.

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2019-10-21 10:02:43Z
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