Die Amerikaner nennen es „Tit for Tat“, im Deutschen bedeutet das so viel wie das biblische „Auge um Auge, Zahn um Zahn“: Nach dieser Devise geht es mittlerweile im Handelsstreit zwischen den USA und China zu. Dieser hat nun die nächste Eskalationsstufe erreicht – die des Währungskrieges.
Es ist ein Szenario, das die Finanzmärkte so sehr fürchten wie kaum ein anderes. Wenn die Amerikaner einen Zoll von zehn Prozent auf chinesische Einfuhren verhängen, Peking seine Währung jedoch im gleichen Maße abwertet, laufen die amerikanischen Strafabgaben ins Leere. Und die Spirale dreht sich immer weiter.
Ist ein Währungskrieg einmal entfesselt, ist es schwer, ihn wieder zu stoppen. Und wie die Geschichte lehrt, stehen am Ende alle als Verlierer da. Entsprechend düster ging es an der Börse zu Wochenbeginn zu. Die amerikanische Wall Street erlebte den schlechtesten Tag des Jahres. Der US-Börsenindex Dow verzeichnete gar den sechststärksten Absturz in seiner Geschichte.
Dabei ist die Auseinandersetzung bislang nur eine Art Krieg der Worte, bei dem sich US-Präsident Donald Trump und die Zentralregierung in China täglich neue Drohungen liefern.
Peking hat seine Währung zu Wochenbeginn unter die wichtige Marke von sieben Renminbi pro Dollar rauschen lassen. Das ist der niedrigste Wechselkurs seit elf Jahren. Die Antwort von Trump darauf folgte postwendend. „China plant, den USA weiterhin Hunderte Milliarden US-Dollar abzunehmen, die sie den USA mit unfairen Handelspraktiken und Währungsmanipulation entzogen haben. Das ist so einseitig – es hätte schon vor vielen Jahren gestoppt werden sollen!“, twitterte er erbost in der Nacht zum Dienstag.
Und legte kurz darauf mit einer unverhohlenen Aufforderung an die US-Notenbank Fed nach: „China hat den Preis der eigenen Währung fast auf ein historisches Tief sinken lassen. Das nennt man Währungsmanipulation. Hörst du zu, Federal Reserve? Das ist ein enormer Missbrauch, der China mit der Zeit noch erheblichen Schaden zufügen wird!“
Doch es blieb nicht bei Twitter-Botschaften. Das US-Finanzministerium hat China mittlerweile hochoffiziell zum Währungsmanipulator erklärt, zum ersten Mal seit 1994. Damit können die USA jetzt offiziell weitere Maßnahmen gegen die Wirtschaftsmacht in Fernost ergreifen. Allerdings dauert es lange, bis deren Folgen sichtbar werden.
Denn das entsprechende Gesetz verlangt, dass die Kontrahenten auf Ebene des IWF oder in bilateralen Gesprächen zunächst verhandeln müssen. Das inkriminierte Land hat nun ein Jahr Zeit, um die Vorwürfe aus der Welt zu schaffen. So sieht es Artikel 701 des amerikanischen Trade Facilitation and Trade Enforcement Act aus dem Jahr 2015 vor.
In Washington müssen die Nerven blank liegen
Die Beweislage für die amerikanischen Anschuldigungen ist allerdings denkbar dünn. Um gegenüber den USA als Währungsmanipulator zu gelten, muss ein Land zum einen einen hohen Leistungsbilanzüberschuss von rund drei Prozent des Bruttoinlandsprodukts ausweisen. Das ist im Falle Chinas nicht mehr gegeben. Punkt zwei in der Anschuldigungsliste ist die Handelsbilanz: Diese muss einen Überschuss mit den USA von mehr als 20 Milliarden Dollar aufweisen.
Diesen Punkt erfüllen die Chinesen. Nicht zuletzt muss ein derart beschuldigtes Land aber auch offen am Devisenmarkt interveniert haben, sprich Dollar gekauft und die eigene Währung verkauft haben. Doch das ist anhand der offiziellen Daten zu den Devisenreserven Chinas bisher nicht nachweisbar. Diese sind zuletzt leicht zurückgegangen.
Die dünne Beweislage offenbart damit auch, wie blank die Nerven in Washington mittlerweile offensichtlich liegen. Der Handelskonflikt zwischen den beiden größten Wirtschaftsmächten der Welt hat zuletzt deutlich an Schärfe gewonnen, nachdem US-Präsident Trump in der vergangenen Woche überraschend weitere Zölle auf chinesische Importe angekündigt hat, die am 1. September wirksam werden sollen. Zuvor hatten Handelsgespräche beider Länder in Shanghai ergebnislos geendet.
Als Reaktion hatte China anschließend seine Währung abgewertet: Zum ersten Mal seit elf Jahren fiel diese am Montag unter die Marke von sieben Renminbi je Dollar. Ein niedriger Kurs des Renminbi verbilligt chinesische Exportgüter und federt den Schaden durch die US-Sonderzölle etwas ab. Aus Sicht der amerikanischen Regierung führt eine schwache chinesische Währung indes zu unfair niedrigen chinesischen Exportpreisen, schadet ausländischen Wettbewerbern und lässt Pekings Handelsbilanzüberschuss wachsen.
Schon jetzt zeigt der seit fast zwei Jahren andauernde Handelskonflikt erhebliche Auswirkungen auf Konjunkturwachstum und Welthandel. Der Internationale Währungsfonds rechnet damit, dass der Welthandel in diesem Jahr nur noch um 2,5 Prozent wachsen wird und damit deutlich weniger als die Weltwirtschaft insgesamt. Normalerweise ist es andersherum. Diese historische Anomalie ist ein Alarmsignal, denn sie deutet an, dass gegenwärtig eine De-Globalisierung in der Welt stattfindet.
Um die Lage offensichtlich nicht noch weiter eskalieren zu lassen, machte Peking am frühen Dienstag einen Schritt auf die USA zu. Die Zentralbank des Landes legte den Referenzwert für den Wechselkurs von Renminbi und Dollar höher fest, als von den Märkten erwartet. Notenbankchef Yi Gang versuchte in einem am späten Montag veröffentlichten Schreiben zusätzlich, Investoren zu beruhigen. Peking werde sich weiter verpflichtet fühlen, „Wechselkurse nicht für Wettbewerbszwecke zu nutzen“, so die Botschaft des Notenbankers. Aufgabe der Zentralbank bleibe, die „grundlegende Stabilität“ des Yuan zu gewährleisten – „auf einem vernünftigen und ausgeglichenen Niveau“.
Damit hat sich die Situation zwar wieder etwas stabilisiert. Doch der Waffenstillstand ist weiterhin extrem brüchig.
Und eine weitere Eskalationsstufe bleibt noch: China besitzt mittlerweile für 1,1 Billionen Dollar US-Anleihen. Sollte sich der Konflikt verschärfen, könnte Peking diese Papiere auf den Markt werfen und damit ein Massaker bei US-Staatsanleihen auslösen. Der Währungskrieg wäre dann endgültig in vollem Gange.
Europa könnte sich dem nicht entziehen. Vielmehr würde der Währungsraum genau zwischen die Fronten geraten, und die Exportnation Deutschland, die auf verlässliche Welt- und Währungsmärkte angewiesen ist, würde vermutlich zum größten Verlierer. 40 Prozent der Wirtschaftsleistung hängt hierzulande am Export.
Allerdings würde die ultimative Waffe US-Anleihenverkäufe auch für China als größten Gläubiger der USA nicht ohne Folgen bleiben. Zum einen würde sich der Wert der Papiere bei einem beschleunigten Verkauf deutlich verringern. China würde sich als Verkäufer also selbst enorm schaden, wenn es den Anleiheberg zu schnell abträgt. Zudem würde in einer solchen Lage der Dollar vermutlich erheblich an Wert verlieren. Das wiederum würde die amerikanischen Exporte auf den Weltmärkten billiger machen und China zu Gegenmaßnahmen zwingen.
Überdies steigt in einem solchen Szenario das Risiko einer Rezession in den USA. China als einer beiden größten Exporteure der Welt würde darunter ebenfalls erheblich leiden. Aus dem „Tit for Tat“ würde dann eine „Lose-Lose-Situation“ werden – eine Welt, in der es nur Verlierer gibt.
Donald Trump äußert sich zum Handel mit Europa
Erst gestern hat Donald Trump neue Strafzölle auf Waren aus China verkündet. Nun äußert sich der US-Präsident zu den Handelsbeziehungen mit Europa. Verfolgen Sie seine Rede hier noch einmal im Originalton.
Quelle: AP
2019-08-06 11:05:00Z
https://www.welt.de/wirtschaft/article198052661/Waehrungsstreit-Washingtons-duenne-Beweislage-offenbart-wie-blank-die-Nerven-liegen.html
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