Elektronik und Programmieren lernen mit einem Open-Source-Mikrocontroller - das geht! Ob es aber auch wirklich gut funktioniert, haben wir ausprobiert.

Programmier-Lernboards gibt es schon seit einigen Jahren, üblicherweise basieren sie auf ARM-SoCs oder Atmel-Mikrocontrollern. Doch seit Ende 2020 gibt es einen neuen Mitspieler: In Kooperation mit der BBC präsentierte die Firma Tynker ihr Doctor Who - Hifive Inventor Coding Kit. Als Mikrocontroller kommt allerdings kein Chip mit einer alten, geschlossenen Architektur zum Einsatz, sondern ein Sifive-SoC, das auf der quelloffenen RISC-V-Architektur basiert.
Die Stichworte "Doctor Who" und "quelloffene" Architektur reichten, um unsere Neugier zu wecken und zu sehen, ob das Set das Potenzial hat, Kinder und Jugendliche dank eines interessanten Boarddesigns und sinnvoller Lernmaterialien an das Programmieren heranzuführen. Der Hersteller hat uns das Kit und zusätzlich eine einzelne Platine zum Testen bereitgestellt.
Der Handschuh wird ausgepackt
Das Inventor Kit enthält die Hifive-Platine in einem "Glove" genannten, sehr gut verarbeiteten und stabilen Plastikgehäuse mit drei Tastern, ein Batteriefach für drei AA-Batterien, ein Lautsprecher-Modul, das vermutlich kürzeste USB-Micro-Kabel der Welt und drei Krokodilklemmen. Das Set mit der einzelnen Platine enthält als Zubehör lediglich das USB-Kabel.
Der sehr kleine Sifive-FE310-G003-Mikrocontroller (32-Bit) sitzt recht unscheinbar auf der Vorderseite der Platine, dazu eine Matrix aus 8x6-RGB-LEDs, zwei Taster und ein Helligkeitssensor. Optisch abwechslungsreicher sieht es auf der Rückseite aus. Neben den Anschlüssen für USB und dem Batteriefach, einem Reset-Taster und einem Beschleunigungs-/Temperatursensor fällt uns sofort das ESP32-Modul auf. Darüber stellt das Board WLAN- und Bluetooth-Funktionalität bereit.
Letzteres ist auch ein deutliches Indiz dafür, dass es sich beim Hifive Inventor letztlich um eine Variante des bereits vor zwei Jahren vorgestellten Hifive1-Rev-B-Board handelt. Doch das ist nicht die einzige Verwandtschaft. Das untere Ende des Boards weist exakt die gleichen IO-Pins und Abmessungen auf wie der BBC Micro:bit. Interessanterweise weist der Hersteller aber nicht auf die Kompatibilität hin. Dabei wäre die umfangreiche Erweiterungspalette des Micro:bit eine sinnvolle Ergänzung zum Hifive Inventor.
Programmierzugang nicht für alle
In der Packung findet sich abseits der Hardware keine echte gedruckte Dokumentation. Ein englischsprachiger "Getting-Started"-Flyer liegt bei, der uns aber nicht wirklich sagt, wie wir nun starten. Alles was wir tun sollen, ist, auf die Inventor-Webseite zu gehen und den im Flyer abgedruckten Code einzugeben.
Das tun wir und werden direkt zur Registrierung weitergeleitet. Dort müssen wir uns als Eltern oder Lernende anmelden. Der Code ist übrigens der einzige Weg, um sich zu registrieren - und damit die webbasierte IDE zu nutzen. Eine Weiternutzung des Kits durch jemand anderen ist deshalb nur durch Preisgabe der eigenen Login-Daten möglich.
Nach diesem Prozedere werden uns schließlich vier englischsprachige Lernkurse angezeigt. Auf den ersten Blick kommt uns das wenig vor, doch sobald wir loslegen, sind wir über den Umfang verblüfft.
Der ersten Kurse mit zehn Kapiteln konzentrieren sich auf das grafische Programmieren mit Scratch. Dabei lernen wir die Sprache kennen und werden an die Sensoren und Aktoren der Platine herangeführt.
Jedes Kapitel ist nach dem gleichen Schema aufgebaut: Zuerst werden wir über kurze Comic-Sequenzen aus dem Doctor-Who-Universum an das zu lösende Problem herangeführt. Der englischsprachige Dialog in diesen Sequenzen wird von der aktuellen Doctor-Who-Schauspielerin Jodie Whittaker gesprochen. Danach hören wir die eigentlichen Lerninhalte von einem anderen Sprecher, die wir parallel auch lesen können. Schließlich sollen wir in der webbasierten IDE das problemlösende Programm umsetzen. Sind wir erfolgreich, erhalten wir Erfahrungspunkte - die wir gegen virtuelle Sammelgegenstände eintauschen können.
Der zweite Kurs, ebenfalls mit zehn Kapiteln, behandelt die Programmierung mit Micropython. Die Umsetzung ist nicht mehr so aufwendig, auf Sprecher müssen wir verzichten, das Doctor-Who-Thema taucht nur noch als Hintergrundbild auf. Der Kurs besteht vor allem aus kleinen Code-Übungen.
Im dritten Kurs "Glitch-Manor" fehlt jegliche Referenz auf das Doctor-Who-Thema. Zudem überschneidet sich der Lerninhalt anfangs mit dem ersten Kurs, vertieft aber noch einmal die Programmierung mit Scratch sowie den Umgang mit der Scratch-IDE und Programmierkonzepten. Die Sprecher und die umfangreichen Texte fehlen, dafür ist der Ablauf deutlich interaktiver.
Der letzte Kurs ist schließlich eine geradezu klassische Einführung in Python und Programmierkonstrukte wie Variablen, Funktionen und Schleifen, inklusive interaktivem Editor zur Codeausführung.
Obwohl nur ein Kurs das Doctor-Who-Thema wirklich durchzieht, begeistert uns das gesamte Kursangebot. Bei früheren Tests von ähnlichen Angeboten fehlte uns die inhaltliche Tiefe oder die Interaktion der Nutzer mit dem Lernmaterial, langweilte die Präsentation und motivierte nicht. Das Hifive Inventor Kit erfüllt alle Ansprüche vorbildhaft.
Webbrowser spricht USB
Worauf wir bislang nicht eingegangen sind, ist die offensichtliche Frage, wie das Programm aus der webbasierten Scratch- oder Python-IDE auf das Board kommt. Über die IDE können wir es serverseitig kompilieren und wir erhalten das Binary zum Download. Stecken wir das Inventor-Board per USB an den Computer an, erscheint es als Laufwerk und wir können die Datei darauf kopieren. Das Board führt einen Reset durch und spielt dann unser Programm ab.
Je nach verwendetem Browser ist der explizite Kopiervorgang auch nicht unbedingt erforderlich, sondern das Binary kann im Browser direkt auf dem Hifive Inventor aufgespielt werden.
Die browserbasierte IDE ist zwar im Rahmen der Lernkurse und für erste Spielereien praktisch, aber früher oder später kommt sicherlich der Wunsch nach mehr Professionalität und Freiheit auf. Doch nirgends finden wir einen Hinweis seitens des Herstellers, wie wir auf unserem eigenen Computer Programme kompilieren können.
Programmieren wie die Profis
Wir haben aber eine Idee: Wenn das Hifive Inventor Board doch eigentlich nur eine Variation des Hifive 1 ist, warum nicht in dessen Anleitung schauen? Dort wird zuerst beschrieben, wie das Board neben der USB-Speicherfunktion auch zwei Schnittstellen per USB über die J-Link-Lösung von Seggers bereitstellt. Und tatsächlich ist das auch bei uns der Fall. Per Terminal-Programm verbinden wir uns mit der Platine, nach einem Reset wird uns das Sifive-Logo angezeigt und wir erhalten Zugriff auf die Micropython-Konsole.
In der Anleitung wird dann auf Freedom Studio verwiesen, einer Eclipse-basierten IDE für Hifive-Boards inklusive dem notwendigen SDK. Wir installieren sie. Schließlich wird es spannend, wir öffnen das Sifive-Welcome-Projekt aus dem SDK und konfigurieren es für das Hifive-1-Rev-B-Board. Und: Wir haben Erfolg! Das Projekt wird kompiliert, übertragen und in unserem Terminal sehen wir die Ausgabe des Programms.
Allerdings bleiben uns weitere Experimente verwehrt. Wir müssten schließlich wissen, wie auf dem Inventor Board die GPIO-Pins des Mikrocontrollers verbunden sind. Doch dafür stellt der Hersteller ebenfalls keine Informationen zur Verfügung, auch ein Nutzerforum für Nachfragen fehlt. Wir versuchen unser Glück per Suchmaschine, im Forum für die Hifive-Boards von Sifive werden wir fündig - beziehungsweise halb fündig: Andere Nutzer hatten die gleiche Idee wie wir, scheiterten aber ebenfalls an mangelnden Informationen. Solange der Hersteller sie nicht liefert oder Nutzer zeitaufwendig experimentieren, haben wir keine weiteren Möglichkeiten, die Platine zu nutzen.
Das Hifive Inventor Coding Kit gibt es zum Preis von rund 65 britischen Pfund oder 75 US-Dollar bei verschiedenen britischen und amerikanischen Onlineshops. Arduino-Startersets mit umfangreichem Zubehör sind meist preiswerter. Der Preis relativiert sich aber im Vergleich zu den anderen Sifive-basierten Boards. Das Hifive 1 Rev B kostet 55 US-Dollar.
Wem es allein um den Sifive-Mikrocontroller geht, für den ist deshalb eher das Expansion Board Kit, auch Base-Kit genannt, interessant, das praktisch nur die Platine selbst enthält. Denn das kostet lediglich um die 40 Dollar und ist damit eine preiswertere Alternative zu den offiziellen Sifive-Boards. Die Sache hat nur einen Haken: Die Verfügbarkeit dieser Kits ist sehr begrenzt. Nur ein US-amerikanischer Händler hatte es zum Zeitpunkt unserer Suche auf Lager, und merkwürdigerweise ein polnischer Onlinehändler - dort zum stolzen Preis von 65 Euro.
Fazit
Für deutschsprachige Eltern dürfte schon die Verfügbarkeit der Kurse ausschließlich in Englisch das entscheidende K.O.-Kriterium gegen das Hifive Inventor Coding Kit sein. Abseits vom Sprachaspekt gestaltet sich die Einschätzung des Sets schwierig.
Die Lehrkurse sind absolut vorbildhaft, dazu hätte es nicht einmal der Doctor-Who-Lizenz bedurft. Das deutsche Calliope-Projekt darf sich her gern eine Scheibe abschneiden. Auch das eher albern anmutende Gehäuse erweist sich im Laufe unserer Erprobung als praktisch und nützlich nicht nur für ungeschickte Kinderhände. Ob Eltern diese beiden Vorteile den hohen Preis wert sind, muss wohl jeder für sich entscheiden.
Definitiv zu teuer ist das Kit in Bezug auf dessen künstliche Limitierungen: Wir können die Platine nur per Web-IDE nutzen. Dafür registrieren können wir uns nur mit einem dem Board beiliegenden Code. Damit ist die langfristige Weiternutzung praktisch unmöglich.
Schade finden wir das vor allem, weil wir uns wünschen, dass die Idee und Nutzung einer quelloffenen CPU-Architektur mehr Aufmerksamkeit verdient. Es kann nicht schaden, zukünftige Entwickler schon früh an solche Hardware heranzuführen. Leider steht die Umsetzung des Kits durch den Hersteller Tynker praktisch im kompletten Gegensatz zur Offenheit der CPU.
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