Es sind nicht viele Rechtsradikale, die sich am Samstagmittag in der Fußgängerzone von Kamp-Lintfort versammelt haben. Zwischen Jobcenter und einem Laden für Sport-Bogenschützen schwenken gut 20 Mitglieder der Kleinstpartei "Die Rechte" ihre Flaggen und halten ein Transparent in die Höhe, auf dem steht: "Volksgericht statt Waffenschein". Ein Sprecher brüllt ins Mikrofon, man brauche keinen Bürgermeister, der in "Wildwestmanier durchdreht".
Ihnen haben sich Hunderte Gegendemonstranten in den Weg gestellt, die das Bündnis für Demokratie mobilisiert hat. Sie skandieren: "Vor dem nächsten Nazimord, Widerstand an jedem Ort."
Der Mann, um den es geht, lässt sich an diesem Tag nicht blicken. Christoph Landscheidt, Juraprofessor, SPD-Politiker, seit 1999 Bürgermeister des ehemaligen Bergbau-Städtchens Kamp-Lintfort, zuletzt wiedergewählt mit fast 88 Prozent.
Der Genosse, der sich bewaffnen will - weil er sich von Rechtsradikalen bedroht fühlt.
Sein Fall zeigt, wie verunsichert deutsche Kommunalpolitiker inzwischen sind. Spätestens seit dem Mord an dem Kasseler CDU-Politiker Walter Lübcke ist die Lage akut. Doch schon vorher waren Lokalpolitiker Opfer brutaler Attacken geworden: im Oktober 2015 etwa die damalige Kölner Oberbürgermeisterkandidatin Henriette Reker, gut zwei Jahre später Andreas Hollstein, Bürgermeister von Altena in NRW. Beide wurden in der Öffentlichkeit mit Messern schwer verletzt. Eine Studie im Auftrag des ARD-Magazins "Kontraste" ergab: Die Zahl der Attacken auf Lokalpolitiker und Mitarbeiter kommunaler Behörden stieg innerhalb von zwei Jahren um 25 Prozent.

Teilnehmer der Demonstration gegen rechts in Kamp-Lintfort: "Widerstand an jedem Ort“
SASCHA STEINBACH/EPA-EFE/REXErst vor wenigen Tagen trat Arnd Focke zurück, SPD-Bürgermeister der niedersächsischen Gemeinde Estorf. Er begründet das mit den Drohungen Rechtsextremer. Focke habe in seinem Briefkasten Zettel mit der Aufschrift "Wir vergasen dich wie die Antifa" gefunden, sein Auto sei mit Hakenkreuzen beschmiert worden. "Es geht um den Schutz meiner Familie", sagt er.
Das ist der Kontext, den man mitdenken muss, wenn man sich Christoph Landscheidt nähert.
Der Fall begann mit einer Meldung der "Rheinischen Post" Anfang der Woche. Die Zeitung berichtete, ein Bürgermeister aus dem Rheinland habe einen Waffenschein beantragt, weil er sich von Rechtsradikalen bedroht fühle. Da ihm dieser nicht von der Polizei gewährt wurde, klagte er vor dem Verwaltungsgericht.
Landscheidt war es offenbar sehr wichtig, anonym zu bleiben. Sogar die eigene Partei erfuhr erst am Donnerstag, dass es sich um ihren Genossen handelte. An dem Tag machte "Die Rechte" seinen Namen öffentlich und kündigte zugleich eine Demo an. Daraufhin ging Landscheidt mit einer Erklärung an die Öffentlichkeit.
Das Schreiben hat es in sich.
Es treffe entgegen vielfältiger Berichterstattung nicht zu, dass er in Zukunft beabsichtige in "Texas-Manier bewaffnet durch die Straßen zu ziehen", schreibt Landscheidt. Er werde seit dem EU-Wahlkampf im Mai 2019 "massiv aus der rechten Szene bedroht". Damals ließ er Plakate von "Die Rechte" abhängen. Auf diesen stand Parolen wie "Israel ist unser Unglück" oder "Wir hängen nicht nur Plakate".
"Außergewöhnliche Notwehrsituationen"
Es habe daraufhin in seinem privaten und beruflichen Umfeld konkrete Situationen gegeben, in denen polizeiliche Hilfe nicht rechtzeitig erreichbar gewesen wäre, so Landscheidt. Für diese "außergewöhnlichen Notwehrsituationen" habe er einen Waffenschein beantragt, um Angriffen auf sich und seine Familie "nicht schutzlos ausgeliefert zu sein".
Die Botschaft hinter dieser Einlassung ist beunruhigend: Ein gewählter SPD-Mann wie Landscheidt fühlt sich offenbar durch die Polizei nicht geschützt.
Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) sagte, man habe die zunehmende Bedrohung von Kommunalpolitikern im Blick. Es liege im gesamtstaatlichen Interesse, dass sich auch weiterhin Mitbürger für kommunale und Ehrenämter zur Verfügung stellten.
Ausgerechnet aus NRW klingen die Einlassungen kritischer: Innenminister Herbert Reul (CDU) hatte schon vor Landscheidts Erklärung mitgeteilt, er halte nichts davon, wenn sich Mandatsträger bewaffneten. "Wenn es Anhaltspunkte für Gefährdungen gibt, werden alle nötigen Maßnahmen ergriffen." Der NRW-Landeschef der Gewerkschaft der Polizei, Michael Mertens, sagte: "Sicherheit gehört in die Hände von Profis. Das ist hier die Polizei."
Ein Satz, der Landscheidt kaum beruhigen dürfte. Er will einen Waffenschein, der ihn zum Führen scharfer Waffen berechtigt. Seine Klage zeigt, dass er dieses Vorhaben nicht leichtfertig aufgeben wird: Laut einer Sprecherin des Düsseldorfer Verwaltungsgerichts beruft er sich auf den Paragrafen 55 des Waffengesetzes. Der sieht vor, dass "erheblich gefährdete Hoheitsträger" einen Waffenschein bekommen. Diese Gefährdung begründet Landscheidt laut Gericht mit Bedrohungen aus dem rechten Spektrum. Dass Politiker versuchen, auf diesem Wege einen Waffenschein zu erlangen, ist nach Kenntnis der Sprecherin eine "ungewöhnliche Konstellation".
Was genau Landscheidt passiert ist, dass er sich zu diesem drastischen Schritt entschlossen hat, wird in seiner Erklärung nicht deutlich. Eine SPIEGEL-Anfrage ließ er unbeantwortet.
Sicher ist: In Kamp-Lintfort gibt es eine Gruppe Neonazis, die vor allem im Stadtteil Hoerstgen für Unruhe sorgt. Gemeint ist die neonazistische Truppe "Volksgemeinschaft Niederrhein" um einen seit den Neunzigern aktiven Neonazi. Sein Grundstück gilt als Treffpunkt der Szene.
"Ich kann verstehen, dass er Angst hat"
Manch einer in seiner Stadt kann nachvollziehen, dass sich der Bürgermeister fürchtet. "Ich kann verstehen, dass er Angst hat", sagt Demonstrant Rainer Klotz, "aber eine Bewaffnung ist das falsche Signal." Er gehe auch nicht auf die Straße, um für Landscheidts Waffenschein zu werben, sondern um Solidarität zu zeigen. "Wir dürfen uns nicht gefallen lassen, dass demokratisch gewählte Bürgermeister und Kommunalpolitiker bedroht und beschimpft werden. Weder hier noch sonst irgendwo."
Klotz hätte sich gewünscht, dass der Bürgermeister mit den Drohungen offener umgegangen wäre. "Dann hätte die Stadt schon viel früher für ihn einstehen können." Ein Genosse Landscheidts sagt, dieser sei jemand, der die Dinge gern mit sich selbst ausmache.
"Er wäre gern öffentlich damit umgegangen, aber Polizei und Verfassungsschutz haben ihm wohl davon abgeraten"
Jürgen Preuß, SPD-Fraktionschef im Stadtrat von Kamp-Lintfort
Das scheint allerdings nicht der einzige Grund für Landscheidts Zurückhaltung gewesen zu sein. Jürgen Preuß´, SPD-Fraktionschef im Stadtrat von Kamp-Lintfort sagt: "Er wäre gern öffentlich damit umgegangen, aber Polizei und Verfassungsschutz haben ihm wohl davon abgeraten."
Dass er nun einen Waffenschein beantragt hat, kann er verstehen. Kamp-Lintfort sei ein Kreis mit großer Fläche und einer Polizei mit ausgedünntem Personal. "Der Staat ist nicht mehr so wehrhaft, wie es eine gut funktionierende Demokratie erfordert. Da kann ich das Bedürfnis nach Schutz nachvollziehen."
Mit Material von dpa und AFP
2020-01-11 16:08:00Z
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