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Ein Mädchen im Widerspruch - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ein Mädchen im Widerspruch - FAZ - Frankfurter Allgemeine Zeitung

Ein Künstler malt sie als eine Franziska von Assisi, im trauten Austausch mit Löwe und Bär. Eine Illustratorin sieht sie als wütende Manga-Figur mit stechenden Augen: „Wie könnt ihr es wagen?!“ Und eine feministische Künstlerin zeigt sie mit sorgenvoll zerfurchtem Gesicht: „Wütende Mädchen verändern die Welt.“

Greta Thunberg ist nun nicht mehr ein 16 Jahre altes Mädchen aus Schweden, das mit dem Schild „Skolstrejk för klimatet“ vor dem Parlament in Stockholm sitzt und den Klimawandel anprangert. Nun ist sie auf dem Weg von der Ikone des Widerstands zu einem Abziehbild unserer Kultur.

Der Beginn ihres Protests, der erst ein Jahr zurückliegt, ist schon abgesunken im kollektiven Gedächtnis. Ob sie es wollte oder nicht: Greta ist zu einem Bild geworden, ikonographisch wie Charlie Chaplin, Salvador Dalí oder Andy Warhol, deren Aussehen man immer wieder gern belächelt. Am Anfang stand sie selbst, als einfach einprägsame Gestalt. Das selbstgemalte Schild, der ernste Blick, die strengen Zöpfe, der simple Kleidungsstil, die klaren Worte: Greta Thunberg musste nicht authentisch werden, wie es nun viele versuchen, die lange an ihrer künstlichen Verschönerung gearbeitet haben – sie war es immer und bleibt es auch.

Die Darstellung über ihre Rolle entgleitet ihr

Ihre Krankheit, eine milde Form des Autismus, macht die Auftritte noch eindrücklicher. Und ihr Idealismus, den wenige Jugendliche so radikal formulieren können, macht ihre Forderungen so unmittelbar einleuchtend. Plötzlich spricht man einer Jugendlichen den Durchblick zu, den man von Alten erwartet. Sie kann sich die Radikalität leisten, weil sie den Marsch durch die Institutionen noch nicht angetreten hat. Ihr Auftritt, zumal die vierminütige Wutrede vor den Vereinten Nationen in dieser Woche, ist wirkungsvoll als Gegenbild zu den komplexen naturwissenschaftlichen Zusammenhängen des Klimawandels – und zu Politikern, die fest in ihren Zwängen hängen.

Die Symbolfigur des Klimastreiks, der an diesem Freitag in Hunderten Städten auf der Welt wieder Millionen Menschen auf die Straßen treibt, ist über ihr eigenes Image hinausgewachsen. Jetzt wird sie zu einer Kunstfigur, mit allen Folgen: Die Kontrolle über ihre Selbstdarstellung entgleitet ihr; sie wird zu einer Projektionsfläche für themenfremde Publikumswünsche; und womöglich schwächt sie mit der unfreiwilligen Selbstmythisierung sogar ihre Wirkung.

Greta Thunberg ist zu einer Super-Influencerin geworden. Schon seit Jahren ist es das Gebot des Bilder-Zeitalters, sich zur Ikone zu stilisieren. Marketingleute haben den Unsinn verbreitet, man könne „vom Mensch zur Marke“ werden – hoffentlich hat es in keinem Fall geklappt. Greta Thunberg versucht nun, die Gesetzmäßigkeiten des Instagram-Zeitalters zu unterlaufen und zu überbieten, also inhaltlich statt optisch, ernst statt spaßig, relevant statt leer zu erscheinen.

Radikalität befeuert die Häme

Aber aushebeln kann sie die Regeln der Bilderflut nicht, wie man an den Hass-Reaktionen sieht. „Die Hater sind weiter aktiv“, schrieb sie in einer ihrer letzten Twitter-Nachrichten, „sie kritisieren mein Aussehen, meine Kleidung, mein Verhalten und meine Besonderheiten.“ Die Dialektik ihrer Aufklärung mündet in eine unerbittliche Logik: Wer nicht für sie ist, der ist gegen sie. Und je stärker sie idealisiert wird, desto stärker wird der Widerstand gegen ihre Mission. Die Bilder, die sie schuf, die wird sie nicht mehr los.

Ihre Wutrede, die viele begeistert und viele auch irritiert hat, war also geradezu unausweichlich. Sie musste ihren Auftritt übersteuern, damit sie gehört wird. Und sie musste ihre Botschaft, auch gegen ihre Feinde, komprimiert verbreiten. „Ein Mädchen gegen die Welt“ – dieser Plot liest sich besser als „Schule schwänzen, um zu demonstrieren“.

Statt selbst zum Thema zu werden, versucht sie immer, auf die Tatsachen zu verweisen. Das führt dann aber wieder zu einem seltsamen Widerspruch: Indem sie versucht, ihre Symbolisierung aufzuhalten mit dem Hinweis, es gehe nicht um sie, nur um die wissenschaftlichen Erkenntnisse, macht sie sich nur noch größer. Denn wer so bescheiden auftritt, der muss über alle Zweifel erhaben sein.

Mit dem drastischen Auftritt in New York sucht sie einen Weg aus der Gefahr der Gefälligkeit. Sie will die bequeme Übereinkunft aufbrechen, dass sich die Welt weiter dreht, egal was dieses Mädchen sagt. Leider befeuert die Radikalität auch die schreckliche Häme, die unschwer als unbewusste Abwehr des Themas zu erklären ist.

Denn es ist schon erschreckend genug, sich mit dem eigenen Ende zu beschäftigen. Um wie viel grausamer ist es, sich mit dem Ende der Menschheit zu konfrontieren. Die apokalyptische Bedrohung, von Greta Thunberg mit heiligem Ernst an die Wand gemalt, hat geradezu alttestamentarische Wucht. Ihre aggressiven Worte versperren aber eine Erlösung nach Art des Neuen Testaments. Womöglich führt ihr Auftritt deswegen eher dazu, dass sich viele nun in Fatalismus flüchten. Heilsversprechen sehen anders aus. Aber nur durch Bilder kann sie auch nicht mehr sprechen. Was für eine Zwickmühle!

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2019-09-27 09:21:00Z
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