Boris Johnson will den Konflikt mit dem Parlament offenbar weiter eskalieren. Der britische Premierminister wolle das am Freitag erlassene Gesetz gegen einen ungeregelten Brexit ignorieren und lege es darauf an, von Abgeordneten verklagt zu werden, berichtete die konservative Zeitung „Sunday Times“. Johnson steuere das Land damit in die schlimmste Verfassungskrise seit 1688, als die Grundlagen für das heutige parlamentarische System Großbritanniens geschaffen wurden.
Das am Freitag verabschiedete Gesetz gegen den ungeregelten EU-Austritt sieht vor, dass die Regierung eine Verlängerung der Brexit-Frist beantragen muss, wenn bis zum 19. Oktober kein Abkommen ratifiziert ist.
Die „Sunday Times“ berichtet unter Berufung auf Regierungskreise, Johnsons Team wolle den EU-Gipfel am 17. Oktober abwarten – wenn es dann keine Lösung gebe, wolle die Regierung eine Verlängerung des Brexit-Termins mit allen Mitteln sabotieren: Sein Team sei bereit, „mit der Kettensäge gegen alles vorzugehen“, was ihm im Weg sei, verlautet aus No. 10 Downing Street.
Gleichzeitig schwindet aber der Rückhalt für einen solch radikalen Kurs innerhalb der Regierung: Am Samstagabend hat die britische Arbeitsministerin Amber Rudd ihren Rücktritt aus dem Kabinett und aus der Fraktion der Konservativen mitgeteilt.
Ihre Entscheidung begründete die einflussreiche Ministerin durch scharfe Kritik an ihrer Regierung, die „nur den No Deal vorbereitet“, aber kein Interesse zeige an „Arbeit und Vorbereitung für ein Abkommen“ mit der Europäischen Union.
Zugleich attackierte Rudd Premierminister Boris Johnson direkt, weil er am Dienstag 21 Tory-Fraktionsmitglieder geschasst hatte, nachdem diese den Weg für eine Blockade des No Deal mit freigemacht hatten. Johnsons Vorgehen sei ein „Angriff auf Anstand und Demokratie“.
Sein „kurzsichtige Abschlachten“ habe die Partei „weitsichtiger und engagierter Abgeordneter beraubt“. Sie könne nicht tatenlos zuschauen, „während gute und loyale moderate Konservative ausgeschlossen werden“, schrieb Rudd in ihrer am Samstagabend veröffentlichten Erklärung.
Boris Johnson denkt nicht an Rücktritt
Premierminister Boris Johnson will unbedingt eine Neuwahl. Doch die Opposition sperrt sich. Der Regierungschef wirkt angesichts von Rückschlägen und Kritik zunehmend geschwächt. Über einen Rücktritt denkt er nicht nach.
Quelle: Reuters
Rudd galt einst als aussichtsreiche Kandidatin für das Amt der Regierungschefin. Sie hatte im Kabinett von Theresa May bereits den Posten der Arbeitsministerin inne. Auch das Innenministerium leitete sie zeitweise. Die proeuropäische Politikern galt zusammen mit anderen lange Zeit als Gegengewicht zu den Brexit-Hardlinern im Kabinett.
Doch die meisten ihrer Mitstreiter waren nach der Wahl Johnsons zum Premierminister ausgeschieden. Die 56-Jährige erwägt nun als unabhängige Kandidatin in die allseits erwartete Neuwahl zu gehen.
Rudds offene Konfrontation mit dem Premier und Parteivorsitzenden macht den Aufstand aus der Mitte der Partei gegen Johnson perfekt. Seit dem Rauswurf ihrer Kollegen war der Druck auf sie gewachsen, dem Kabinett den Rücken zu kehren.
Rudd könnten, so wird in London spekuliert, weitere Minister folgen. Etwa die einstigen Brexit-Gegner Nicky Morgan (Kultur) und Matt Hancock (Gesundheit).
Rudds Entscheidung kommt nur zwei Tage nachdem Johnsons jüngerer Bruder Jo als Minister und Abgeordneter das Handtuch geworfen hatte. Wie Jo Johnson gehört Rudd dem moderaten, EU-freundlichen Flügel an, die einen Brexit trotzdem mittragen wollten.
Premier Johnson verband bekanntermaßen ein Vertrauensverhältnis mit Rudd, die trotz aller inhaltlichen Differenzen und geballter Kritik der Brexit-Gegner den Schritt in dessen Kabinett gemacht hatte.
Offensichtlich glaubte sie daran, dass Johnson mit intensiven Verhandlungen, gepaart mit seiner ernst gemeinten No-Deal-Drohung, doch noch ein neues Abkommen mit der EU würde schließen können. Darin aber hat sich Rudd, wie sie nun offen eingesteht, getäuscht.
2019-09-08 11:28:00Z
https://www.welt.de/politik/ausland/article199875298/Amber-Rudd-tritt-zurueck-Grossbritannien-versinkt-tiefer-im-Brexit-Chaos.html
Lesen Sie später weiter >>>>
Bagikan Berita Ini
0 Response to "Amber Rudd tritt zurück: Großbritannien versinkt tiefer im Brexit-Chaos - WELT"
Post a Comment