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Kanada und der Flugzeugabsturz in Iran: Trudeaus Teheran-Problem - DER SPIEGEL

Kanada und der Flugzeugabsturz in Iran: Trudeaus Teheran-Problem - DER SPIEGEL

Auch der Premier nahm kurz an der Kerzenwache teil. Justin Trudeau gesellte sich zu den mehreren Hundert Kanadiern, die am Donnerstagabend auf dem "Parliament Hill" in Ottawa der Opfer von Flug PS752 gedachten. Unter den Toten in der bei Teheran abgestürzten Boeing-Maschine waren 63 Kanadier, acht kamen Lokalmedien zufolge aus der Hauptstadt. Trudeau legte Blumen ab und kondolierte den trauernden Angehörigen.

Kurz zuvor war der kanadische Regierungschef vor die Kameras getreten und hatte verkündet, dass Informationen verbündeter Geheimdienste ebenso wie eigene Erkenntnisse darauf hindeuteten, "dass das Flugzeug von einer iranischen Boden-Luft-Rakete abgeschossen wurde". Die Belege seien insoweit "sehr klar", auch wenn der Abschuss durchaus versehentlich erfolgt sein könnte.

Eigentlich wollte Trudeau, der bei der Wahl im Oktober die absolute Mehrheit verloren hatte, in seiner zweiten Amtszeit vor allem innenpolitische Prioritäten setzen. Bodenständiger und demütiger im Auftreten, optisch untermalt durch einen Vollbart. Inhaltlich sollte es um eine weitere Entlastung der Mittelschicht gehen und darum, gesellschaftliche Risse zu kitten, welche die letzte Wahl offenbart hatte. Zu diesem Zweck stellte er auch sein Kabinett um.

Nun aber findet der Premier sich auf der Weltbühne wieder. "Die Familien der Opfer und alle Kanadier wollen Antworten", sagte Trudeau in seiner Fernsehansprache. Das dürfte besonders stark für die rund 210.000 Staatsbürger gelten, die laut der jüngsten Volkszählung iranische Wurzeln haben. In Teilen der kanadisch-iranischen Diaspora war die Wut über den Absturz groß.

Iran weist die Vorwürfe bislang zurück. Ein Abschuss des Passagierflugzeugs sei "wissenschaftlich unmöglich", sagte der Leiter der iranischen Luftfahrtbehörde, entsprechende Spekulationen nannte er am Donnerstag "unlogisch". Inzwischen veröffentlichten US-Medien aber ein Video, das zeigen soll, wie das Flugzeug von einer Rakete getroffen wird.

Kanadas Beziehung zu Iran: eine wechselvolle Geschichte

Für Trudeau dürfte das weitere Vorgehen eine Herausforderung werden: diplomatisch heikel und auch praktisch mit Hürden versehen. Denn seit der Amtszeit seines Vorgängers Stephen Harper liegen die kanadisch-iranischen Beziehungen auf Eis. Dessen konservative Regierung schloss 2012 die kanadische Botschaft in Teheran und wies iranische Diplomaten aus. Als Gründe für den Schritt nannten die Kanadier unter anderem Irans Unterstützung für Baschar al-Assad in Syrien sowie Teherans Atomprogramm.

Außerdem erklärte Harpers Regierung Iran zu einem staatlichen Terrorunterstützer, die Quds-Brigaden, an deren Spitze der getötete General Qasem Soleimani stand, zu Terrorgruppen. 2015 war Kanada die treibende Kraft hinter einer Uno-Resolution, die Menschenrechtsverstöße in Iran verurteilte.

Die Schließung der kanadischen Botschaft im Jahr 2012 war nicht die erste in der Geschichte der kanadisch-iranischen Beziehungen. Während der Islamischen Revolution 1979 versteckte Ken Taylor, Kanadas damaliger Gesandter in Teheran, mithilfe der CIA sechs Mitarbeiter der US-Botschaft in der kanadischen Vertretung. Die Amerikaner konnten Iran schließlich mit falschen kanadischen Pässen verlassen.

Kanadas Botschaft schloss 1980 und wurde erst acht Jahre später wiedereröffnet, als das Land Militärbeobachter entsandte, die über einen Waffenstillstand im Iran-Irak-Krieg wachen sollten.

Mittendrin im Konflikt zwischen Iran und den USA

Für Trudeau ist das alles eine Hypothek. Seine Liberalen hatten zwar 2016 den Willen bekundet, wieder direkt mit Iran in Kontakt zu treten und womöglich wieder diplomatische Beziehungen aufzunehmen. Bisher ist es aber bei diesem Wunsch geblieben.

Auch die aktuelle geopolitische Lage macht das Unterfangen des kanadischen Premiers nicht einfacher. Ob er will oder nicht: Trudeau findet sich mitten im Konflikt zwischen Iran und den USA wieder. So wird einer der Militärstützpunkte, die Iran als Vergeltung für die Tötung Soleimanis mit Raketen angegriffen hat, auch von kanadischen Spezialkräften benutzt. Fünf Tage, nachdem die Basis nahe Erbil im Nordirak unter Beschuss genommen wurde, hielten sich laut dem Fernsehsender CBC dort wieder kanadische Soldaten auf. Der Stützpunkt ist von zentraler Bedeutung für Kanadas Beitrag zum Kampf gegen den IS.

Auf der einen Seite des Konflikts steht eine iranische Führung, die nach den jüngsten Ereignissen selbst unter Druck ist. Teheran verweigerte zunächst eine Aufklärung des Vorfalls, wie Trudeau sie fordert. Die iranischen Behörden haben sich unmittelbar nach dem Unglück darauf festgelegt, dass technisches Versagen der Grund für den Absturz war.

Inzwischen heißt es, Iran habe Experten der US-Verkehrssicherheitsbehörde NTSB eingeladen, an den Untersuchungen teilzunehmen. Ukrainische Fachleute sind bereits im Land, kanadische und französische Teams sollen nach iranischen Angaben bald eintreffen. Dass Teheran eine umfassende und unabhängige Aufklärung ermöglichen wird, ist dennoch mehr als fraglich. Schon gibt es Berichte, an der Absturzstelle seien Bulldozer zur Räumung eingesetzt worden. Die NTSB verwies außerdem ausdrücklich darauf, dass die Iraner die Untersuchung leiten.

Und selbst wenn Experten zu dem Schluss kommen sollten, dass die Boeing 737 versehentlich von iranischen Flugabwehrraketen getroffen wurde, ist es fraglich, ob sich das iranische Regime dazu bekennt. Denkbar ist auch, dass sich ein Szenario wiederholt, wie nach dem Abschuss des Flugzeugs MH17 über der Ostukraine, für den Russland, trotz einer erdrückenden Beweislage, bis heute keinerlei Verantwortung übernommen hat.

Die Menschen in Iran haben sich in der Krise zunächst hinter der Führung versammelt. Proteste gegen die Führung, gegen den Autoritarismus im Land und das Missmanagement, sind für einen Augenblick verstummt. Wenn sich nun herausstellen sollte, dass der Staat aus Versehen ein Flugzeug abgeschossen hat, in dem auch mehrere Dutzend iranische Passagiere saßen, könnte das die Bürger erneut an ihrer Regierung zweifeln lassen. Zumal bereits bei der Trauerfeier für Soleimani bei einer Massenpanik Dutzende Menschen starben.

Trudeaus schwierige Beziehung zu Trump

Auf der anderen Seite wird Trudeau es mit den USA zu tun haben. Präsident Donald Trump scheint derzeit zwar eine weitere Eskalation verhindern zu wollen; zu Flug PS752 und einem möglichen Abschuss äußerte er sich ähnlich zurückhaltend wie Trudeau.

Eine Garantie dafür, dass das so bleiben wird, gibt es aber nicht. Danach gefragt, ob die USA für die Tragödie verantwortlich seien, sagte Trudeau: "Es ist zu früh für Rückschlüsse." Er wird gut beraten sein, weitere Schritte sorgfältig abzuwägen: In der Vergangenheit sah sich der kanadische Regierungschef wiederholt Anfeindungen durch den US-Präsidenten ausgesetzt.

Icon: Der Spiegel

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2020-01-10 18:09:00Z
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