„Gut, wenn neue Köpfe Verantwortung übernehmen“: Michael Müller schreibt Abschiedsbrief an die Berliner SPD - Tagesspiegel
Franziska Giffey soll als Regierende Bürgermeisterin Michael Müller nachfolgen und sich den Landesvorsitz mit Raed Saleh teilen. Reaktionen im Newsblog.
Ulrich Zawatka-Gerlach
Sophie Krause
Anke Myrrhe
Björn Seeling
Tilmann Warnecke
Amory Burchard
Michael Müller auf dem Landesparteitag der Berliner SPD vor zwei Jahren. Foto: Gregor Fischer/dpa
Berlins Regierender Bürgermeister Michael Müller (SPD) verzichtet nach Tagesspiegel-Informationen auf eine weitere Kandidatur für den SPD-Landesvorsitz . Ihm soll Franziska Giffey folgen - in einer Doppelspitze mit dem Fraktionsvorsitzenden Raed Saleh .
Giffey soll wohl im Mai auf dem Parteitag als Nachfolgerin kandidieren. Die Bundesfamilienministerin soll zudem Spitzenkandidatin für die nächste Berliner Wahl im Herbst 2021 werden. Dieses Personaltableau wurde dem Vernehmen nach am Dienstagabend in einem ausgewählten Kreis von Bezirkschefs besprochen, an dem Müller, Giffey und Saleh teilnahmen. Müller will am Mittwochnachmittag in einer Pressekonferenz öffentlich darüber informieren.
Müller will derweil in den Bundestag wechseln , der wie das Abgeordnetenhaus im kommenden Jahr gewählt wird. Ihm würde in diesem Fall voraussichtlich Platz 1 der SPD-Landesliste vorab garantiert.
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Hintergrund über Franziska Giffey
Zeit für neue Impulse: Müller schreibt Abschiedsbrief an die Berliner SPD
Michael Müller hat sich in einem Brief an alle Mitglieder der Berliner SPD von den Genossinnen und Genossen verabschiedet. Darin bestätigt er die Nachricht, die der Tagesspiegel bereits am Morgen aus Parteikreisen erfahren hatte: Beim Landesparteitag im Mai wird er nicht mehr für den Vorsitz der Berliner SPD kandidieren.
"Nach vielen Gesprächen in den letzten Wochen ist deutlich geworden, dass sich nicht nur auf Bundesebene, sondern auch in Berlin viele Genossinnen und Genossen neue Impulse für unsere Partei wünschen."
Michael Müller, Vorsitzender der Berliner SPD
Müller ist seit zwölf Jahren Landesvorsitzender, diese Aufgabe habe ihm viel Spaß gemacht, ihn aber auch gefordert. "Ich glaube, dass es gut ist, wenn jetzt neue Köpfe Verantwortung übernehmen und unsere Partei nach dem nächsten Landesparteitag im Mai führen. Darum werde ich nicht mehr für diese Funktion kandidieren."
Müller stellt allerdings auch klar, dass er vorerst Regierender Bürgermeister bleiben möchte. "Ich werde meine Arbeit als Regierender Bürgermeister fortsetzen", schreibt Müller, er werde mit dem Vorsitz der Ministerpräsidentenkonferenz "in diesem und dem nächsten Jahr Impulse über Berlin hinaus setzen".
Morgen früh das Neueste im Checkpoint-Newsletter
Wenn Sie gleich nach dem Aufstehen wissen wollen, was Stand der Dinge ist beim geplanten Müller-Giffey-Wechsel - der preisgekrönte Checkpoint-Newsletter von Tagesspiegel-Chefredakteur Lorenz Maroldt und seinem Team hält sie auf dem Laufenden. Mein Kollege Robert Ide informiert Sie, liebe Leserinnen und Leser, am Donnerstagmorgen ab 6 Uhr über die neuesten Entwicklungen - und natürlich über weitere Aufreger (und Lacher) aus Berlin. Interessiert? Unter diesem Link hier geht's zum kostenfreien Checkpoint-Probe-Abo . Wer schnell ist, kann zudem exklusive Berlinale-Tickets gewinnen. Wie? Das verrät Ihnen "Mister Berlinale" Robert Ide morgen früh.
Werner Graf (Grüne): „Das hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten abgezeichnet“ Die Berliner Grünen verhalten sich zurückhaltend zum Machtwechsel in der SPD, berichtet meine Kollegin Laura Hofmann:Offiziell äußern wollen sich nur wenige aus der Partei. Überrascht sei er von Müllers und Giffeys Entscheidung nicht, sagt der Grünen-Landesvorsitzende Werner Graf. „Das hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten abgezeichnet.“
Grundsätzlich kommentiere man die Personalentscheidungen der Koalitionspartner aber nicht. „Wir halten uns an den Koalitionsvertrag“, sagt auch seine Co-Landesvorsitzende Nina Stahr.
Im linken Flügel der Grünen-Fraktion im Abgeordnetenhaus wird Giffey allerdings kritisch gesehen. Ihr Regierungsstil sei paternalistisch, ihr Charakter autoritär. Dass sie rot-rot-grüne Politik mache, müsse sie erst beweisen. Fraglich ist deshalb, ob die Grünen einen vorzeitigen Wechsel im Roten Rathaus unterstützen würden.
Zwar heißt es von einigen Realos, man werde die Koalition darüber nicht platzen lassen. Andererseits hilft ein schwacher Michael Müller den Grünen, die aktuell in den Umfragen bei rund 24 Prozent liegen, mehr als die in der Bevölkerung beliebte Franziska Giffey.
Die FDP-Opposition zum geplanten Wechsel
Der angekündigte Übergang ist sicher keine
Überraschung. Die Berliner SPD muss nun zeigen, ob der mögliche Wechsel
von Müller zu Giffey nur eine Personalrochade ist oder der Sozialdemokratie die
Perspektive öffnet, das schwierige Verhältnis zu den eigenen Koalitionspartnern
zu überwinden und im Senat wieder Führungsverantwortung zu übernehmen. Für uns
ist es unwichtig, ob der Regierende Bürgermeister nun Müller oder Giffey heißt,
entscheidend ist, ob der Regierende das Richtige tut, um die Hauptstadt nach
vorne zu bringen. Darum zählt nur eins: Ärmel hochkrempeln und die Probleme
Berlins endlich angehen.
Sebastian
Czaja, Vorsitzender der FDP-Fraktion im Abgeordnetenhaus
Was bleibt vom Plagiatsvorwurf hängen? Ende Oktober 2019 erteilte die Freie Universität Berlin Franziska Giffey eine „Rüge“, entzog ihr den Doktorgrad nach dem Plagiatsvorwurf aber nicht.
Meine Kollegin Amory Burchard hat mit dem HU-Jura-Professor Gerhard Dannemann gesprochen, der ehrenamtlich bei VroniPlag Wiki engagiert ist. „Das Besorgniserregende am Fall Giffey ist, dass sie bis heute keinerlei Einsicht in ihr Fehlverhalten zeigt“, sagt Dannemann.
Die Plagiats-Experten von VroniPlag Wiki hatten mit einer groß angelegten Dokumentation 119 Stellen in Giffeys Doktorarbeit belegt, in denen wissenschaftliches Fehlverhalten vorliege. „Eine ungeheure Häufung von systematischen Blind- und Fehlzitaten und vorgeblicher Befassung mit der Primärliteratur, die aber aus Wikipedia oder der Studienliteratur stammt: So kann man Wissenschaft nicht betreiben, aber da zeigt Frau Giffey keinerlei Einsicht“, kritisiert Dannemann.
Der Jurist beruft sich auf ein Interview der Bundesfamilienministerin mit „jung und naiv“. Darin sagte Giffey im November 2019, also nach dem milden Urteil der FU, sie hätte die Arbeit 2009 nicht abgegeben, wenn sie nicht sicher gewesen wäre, korrekt gearbeitet zu haben. Sie glaube, „dass kein Mensch eine wissenschaftliche Arbeit absolut fehlerfrei schreiben kann“ – zumal es eben „x Zitierregeln“ gebe. Das sei schlicht falsch, sagt Dannemann: „Es gibt zwar unterschiedliche Zitierweisen, aber die Regeln sind eindeutig und sie sind seit Jahrzehnten unterändert.“ Den wesentlichen Befunden der Plagiatsprüfung durch VroniPlag Wiki habe die Freie Universität auch nicht widersprochen, aber nicht ihre eigenen Maßstäbe offengelegt.
Für das Amt der Regierenden Bürgermeisterin sieht Dannemann die Bundesfamilienministerin indes nicht disqualifiziert. Schließlich habe es auch Plagiatsvorwürfe gegen den jetzigen Bundespräsidenten Steinmeier gegeben – die von seiner Uni fallengelassen wurden – und gegen die EU-Kommissionsvorsitzende von der Leyen – deren Medizinische Hochschule Plagiate bestätigte, aber ihr den Doktorgrad nicht aberkannte.
Sollte Giffey jedoch auch das Amt der Wissenschaftssenatorin anstreben, würde das vielen in der scientific community Bauchschmerzen bereiten, meint Dannemann. „Die fehlende Einsicht in ihr wissenschaftliches Fehlverhalten würde sie als Wissenschaftssenatorin unmöglich machen.“
TU-Präsident: "Zusammenarbeit mit Müller hat hervorragend funktioniert" Der Regierende Bürgermeister Michael Müller ist auch Wissenschaftssenator – und in der Wissenschaft wird sein Rückzug bedauert. „Das ist sehr schade, denn die Zusammenarbeit mit ihm hat hervorragend funktioniert“, sagte Christian Thomsen, Präsident der Technischen Universität und aktuell Vorsitzender der Landeskonferenz der Rektoren und Präsidenten der Berliner Hochschulen.
Als Beispiel nannte Thomsen die Unterstützung Müllers für den erfolgreichen gemeinsamen Antrag der Berliner Unis in der Exzellenzinitiative. Dass Wissenschaft in den vergangenen zehn Jahren zu einem Schwerpunkt der Berliner Politik wurde, sei auch ein Verdienst Müllers – und der habe sich zusammen mit seinem erfolgreichen Staatssekretär Steffen Krach ebenso bundespolitisch erfolgreich für die Hauptstadt-Wissenschaft eingesetzt.
Müller sei für die Hochschulen immer ansprechbar und offen für neue Ideen, etwa beim Thema Digitalisierung oder aktuell in Sachen Klimawandel, wo der Regierende unlängst kurzfristig die Idee eines Einstein-Zentrums zu dem Thema unterstützt und mit angeschoben habe.
Thomsen wünscht sich, dass Müller bis zum Ende der Legislaturperiode 2021 im Amt bleibt. Ein vorzeitiger Amtswechsel und dann auch noch Neuwahlen im kommenden Jahr würden einen zu langen Stillstand bedeuten: „Wir brauchen Stabilität.“
Wäre es für ihn vorstellbar, dass Giffey auch das Amt der Wissenschaftssenatorin übernimmt – trotz der Plagiatsaffäre um ihre Doktorarbeit? Die Freie Universität Berlin sprach Giffey zwar frei, stellt aber auch Verstöße gegen wissenschaftliche Standards fest. Zu dieser Frage wollte sich Thomsen nicht äußern.
AfD: "Berlin dümpelt führungslos bis zur Wahl herum"
AfD-Fraktionschef Georg Pazderski sieht die Berliner SPD am Ende: "Der farblose Müller geht. Seine Merkmale waren, keine eigene Position einzunehmen und sich von seinen Koalitionspartnern treiben zu lassen", sagt er im Gespräch mit meinem Kollegen Robert Kiesel. "Nur der Machterhalt war sein Ziel. Nun wird Berlin bis zur nächsten Wahl führungslos herumdümpeln und ist den grünen und linken Ideologen komplett ausgeliefert. Ein Drama für unsere Stadt!" Und Giffey? "Geschüttelt von Betrugsskandalen um ihre Doktorarbeit und die Machenschaften ihres Ehemannes , steht sie für das, was die SPD 2020 kennzeichnet: verbrauchte Köpfe ohne neue Ideen. Ich nenne das Projekt 5 Prozent. Regierende Bürgermeisterin wird sie sicher nicht."
Wie es Giffey zum ersten Mal in den Tagesspiegel schaffte
Im Oktober 2010 gab es schon einmal einen Wechsel in Berlin, der mit Giffeys Namen verbunden war. Genauer: in Neukölln. Noch genauer: an der Spitze des Bildungsressorts. Die damals 32-Jährige trat die Nachfolge des allseits anerkannten Wolfgang Schimmang (1945-2014) an, der 17 Jahre das Amt innehatte.
„Franziska Giffey ist eine, die Mut hat“ Carsten Schneider, parlamentarischer Geschäftsführer SPD-Bundestagsfraktion zur Kandidatur von Giffey: "Das finde ich gut. Franziska Giffey ist eine, die weithin anerkannt ist und den Mut hat, in diesen nicht ganz einfachen Wahlkampf einzugreifen. Die Bundeshauptstadt ist von besonderer Bedeutung für die SPD."
Giffey und Saleh - kein gutes Team? In Teilen der SPD-Linken gibt es Bedenken gegen eine Doppelspitze Giffey/Saleh, berichtet mein Kollege Uli Zawatka-Gerlach. „Das ist kein Team, das wir gut finden“, hieß es von mehreren Seiten aus Parteikreisen. Spekuliert wird auch über einen vorzeitigen Wechsel an der Senatsspitze. Giffey könnte noch vor Ende der Wahlperiode ins Rote Rathaus wechseln, wird parteiintern diskutiert.
Kai Wegner (CDU) über die Personalie Giffey
Ich heiße Frau Giffey in der Berliner Landespolitik willkommen und freue mich auf eine sachbezogene Auseinandersetzung um die besten Lösungen für Berlin. Es wird interessant zu beobachten sein, ob Frau Giffey jetzt die SPD verändert oder ob die SPD Frau Giffey verändern wird.Wichtiger als die Personalie Giffey ist, dass die von Rot-Rot-Grün betriebene tiefe Spaltung unserer Stadt endlich ein Ende findet. Berlin braucht einen echten politischen Neuanfang. Ich habe schon lange große Zweifel daran, ob Rot-Rot-Grün dazu noch in der Lage ist. Mit einem Regierenden Bürgermeister im Absprung sind meine Zweifel noch größer geworden.
Kai Wegner, Vorsitzender der CDU Berlin
Müller und Giffey bei der Gedenkstunde für die Opfer der Nazi-Verfolgung
Gedenkveranstaltung im deutschen Bundestag für die Opfer des Nationalsozialismus
Bild:
Foto: Imago/Christian Spicker
Ramona Pop (Grüne) zu Michael Müllers Entscheidung
Wir respektieren natürlich die Entscheidung von Michael Müller. Das ist eine Entscheidung der Partei. Wenn sich dadurch die Wogen in der Führung bei der SPD beruhigen und dies das Regieren einfacher macht, freue ich mich. Das war in den vergangenen Monaten ja nicht immer leicht.
Ramona Pop (Grüne), Wirtschaftssenatorin
Franziska Giffey - die Erste?
Sollte Franziska Giffey Regierende Bürgermeisterin werden - die erste Frau an der Spitze Berlins wäre sie nicht. Vielmehr führte bereits die SPD-Politikerin
Louise Schroeder vom 8. Mai 1947 bis zum 7. Dezember die Regierungsgeschäfte. Nach ihr sind bundesweit Schulen, Plätze und Straßen benannt. Natürlich auch in Berlin. Mein Kollege Ulrich Zawatka-Gerlach hat sie porträtiert. Über das Neueste aus den Berliner Bezirken halten Sie übrigens unsere "Leute"-Newsletter auf dem Laufenden. Kostenlos zu bestellen unter dieser Adresse hier .
Tagesspiegel | Ulrich Zawatka-Gerlach
Derweil im Bundeskanzleramt
Familienministerin Franziska Giffey (l., SPD), Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und Bundesbankpräsident Jens Weidmann kommen am Mittwoch zur Sitzung des Bundeskabinetts im Bundeskanzleramt.
Bild:
Foto: Kay Nietfeld/dpa
Gemeinsame Pressekonferenz
Michael Müller, Franziska Giffey und Raed Saleh werden im Laufe des Tages eine gemeinsame Pressekonferenz geben.
Franziska Giffey war gerade zum Kurzbesuch auf der Klausurtagung der Berliner SPD-Fraktion in Nürnberg. Mein Kollege Ulrich Zawatka-Gerlach hat sie dabei begleitet. Hier sein Text vom vorigen Wochenende.
Tagesspiegel | Ulrich Zawatka-Gerlach
Umfrage: Sollte Müller das Amt des Regierenden sofort an Giffey übergeben?
Opinary | tagesspiegelPressekompass
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2020-01-29 13:57:00Z
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