Sollen Kinder aus überfüllten Flüchtlingslagern in Griechenland nach Deutschland geholt werden? Ein Vorschlag der Grünen provoziert Widerspruch.
Union und FDP lehnen den Vorstoß von Grünen-Chef Robert Habeck zur Aufnahme von Flüchtlingskindern aus Griechenland ab. Bundesentwicklungsminister Gerd Müller sagte der „Passauer Neuen Presse“: „Den Kindern kann und muss am schnellsten und wirksamsten vor Ort geholfen werden. Ich verstehe hier die Hilflosigkeit der griechischen und europäischen Behörden nicht.“
Habeck hatte in der „Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung“ die Bundesregierung aufgefordert, bis zu 4000 Kinder von den überfüllten Flüchtlingslagern auf griechischen Inseln zu holen – auch ohne europäischen Konsens. „Es ist ein Gebot der Humanität, da schnell zu helfen.“
Das Bundesinnenministerium hatte einen Alleingang Deutschlands aber bereits abgelehnt, mit der Begründung, dass sich dann die anderen EU-Länder ihrer Verantwortung entziehen würden. Innenstaatssekretär Helmut Teichmann bekräftigte das am Montag im ARD-„Morgenmagazin“: „Wir setzen nicht auf eine nationale Lösung, sondern wir setzen auf eine europäische Lösung.“ Er sei optimistisch, dass dies kommendes Jahr gelinge.
Teichmann sagte, Innenminister Horst Seehofer (CSU) habe eine europäische Lösung Mitte Dezember mit den beiden neuen EU-Kommissaren für Migration, Margaritis Schinas aus Griechenland und Ylva Johansson aus Schweden, besprochen - „und da dringend gleich zu Beginn des neuen Jahres eine neue europäische Lösung angemahnt“.
„PR-Aktion kurz vor Weihnachten“
Der CDU-Bundestagsabgeordnete Christoph de Vries mahnte in der „Welt“, unter keinen Umständen zuzulassen, „dass erneut Fehlanreize geschaffen werden, die neue Migrationswellen nach Deutschland auslösen“.
FDP-Generalsekretärin Linda Teuteberg sagte der Zeitung, eine „PR-Aktion kurz vor Weihnachten hilft nicht, das Fluchtproblem verantwortungsvoll zu lösen“. Parteivize Wolfgang Kubicki stellte in der „Rheinischen Post“ die rhetorische Frage: „Was ist mit den Kindern in türkischen, jordanischen oder libyschen Lagern?“
Vage Antwort von SPD-Chefin Esken
Dagegen sagte der niedersächsischen SPD-Innenminister Pistorius der „Welt“: „Wenn alle immer warten, dass alle mitmachen, macht am Ende keiner was.“ Es gehe darum, als Zeichen der Humanität „nicht Tausende, aber einige hundert“ Kinder nach Deutschland zu holen.
Die Parteivorsitzende Saskia Esken äußerte sich eher vage: „Wir müssen die Situation vor Ort verbessern, aber auch die Aufnahme von geflüchteten Menschen in anderen Mitgliedsstaaten ermöglichen, und natürlich müssen Kinder gemeinsam mit ihren Familien ein besonderes Augenmerk erhalten.“
Der SPD-Politiker Ralf Stegner bezeichnete den Streit als „berechtigte Debatte über europäische Humanität“ bezeichnet. „Zumindest die alleingebliebenen Kinder und Jugendlichen aus den katastrophalen Zuständen in den Flüchtlingslagern zu befreien, wäre jedenfalls eher mit der Weihnachtsgeschichte vereinbar als der Kommerz“, schrieb Stegner, Fraktionsvorsitzender im Landtag von Schleswig-Holstein, am Montag auf Twitter.
Der Präsident der Diakonie Deutschland, Ulrich Lilie, nannte die Hilfe „ein Gebot der Humanität“. Die Aufnahme von 4000 Kindern und Jugendlichen würde weder die deutschen und erst recht nicht die europäischen Möglichkeiten überfordern. „Die Zustände in den überfüllten Flüchtlingslagern auf den Inseln der Ägäis sind schon viel zu lange unerträglich und spotten jeder Menschlichkeit“, teilte Lilie mit. Gerade zu Weihnachten wäre Hilfe „ein Zeichen der Hoffnung und ein Ausdruck elementarer europäischer und christlicher Werte.“
Lage in griechischen Flüchtlingslagern gerät außer Kontrolle
In den Flüchtlingslagern auf den Inseln im Osten der Ägäis sind nach Angaben aus Athen um die 40.000 Menschen untergebracht, obwohl nur Platz für rund 7500 Menschen ist.
Die Lage gerät zunehmend außer Kontrolle, die Zustände sind nach Berichten humanitärer Organisationen dramatisch. Griechenland rechnet im kommenden Jahr mit weiteren 100.000 Migranten, die aus der Türkei übersetzen.
Erdogan warnt vor neuer Flüchtlingswelle
Angesichts schwerer Luftangriffe in Nordsyrien und Zehntausender fliehender Menschen warnt der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan bereits vor einer „neuen Migrationswelle“ in Richtung Europa. Mehr als 80.000 Menschen seien auf dem Weg zur türkischen Grenze, sagte er am Sonntag.
„Alle europäischen Länder, insbesondere Griechenland, werden die negativen Folgen zu spüren bekommen.“ Es werde „unvermeidlich“ zu Szenen wie vor dem 2016 geschlossen Flüchtlingspakt der EU mit der Türkei kommen.
Das Abkommen führte zu einem deutlichen Rückgang der Zahl derer, die sich von der Türkei aus auf nach Europa - oft nach Deutschland - machten. Es sieht vor, dass Griechenland illegal eingereiste Migranten zurück in die Türkei schicken kann. Im Gegenzug übernimmt die EU andere syrische Flüchtlinge aus der Türkei und hilft mit Geld. (dpa)
2019-12-23 08:27:00Z
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