Die gescheiterte Pkw-Maut ist rechtswidrig, befand der Bundesrechnungshof im Oktober. Das Verkehrsministerium wies die Vorwürfe zurück. Doch der finale Prüfbericht fällt für Minister Scheuer vernichtend aus.
Der Bundesrechnungshof hält an seiner Kritik am Verkehrsministerium unvermindert fest. In einem finalen Prüfbericht zur Pkw-Maut, der dem SPIEGEL vorliegt, erhärten die Kontrolleure den Vorwurf, das Ministerium von Andreas Scheuer (CSU) habe gegen Vergabe- und Haushaltsrecht verstoßen. Zudem seien die hohen Schadensersatzansprüche, die der Bund den Betreiberfirmen Kapsch TrafficCom und CTS Eventim eingeräumt hatte, "nicht angemessen" gewesen.
Vor wenigen Wochen hatte der Bundesrechnungshof dem Ministerium eine erste Version des Prüfberichts zugeleitet und um Stellungnahme gebeten, wie der SPIEGEL damals berichtete. Das Bundesverkehrsministerium (BMVI) hatte die Kritik der Prüfer zurückgewiesen und sein Vorgehen "in allen Bereichen für zulässig beziehungsweise angemessen" erklärt.
Die Prüfer arbeiteten die Erklärungen des Ministeriums in ihren endgültigen Bericht ein. Überzeugen ließ sich der Rechnungshof aber nicht: "Er bleibt bei seiner Kritik", heißt es in der Zusammenfassung. Auf 28 Seiten äußern die Kontrolleure teils vernichtende Kritik am Vorgehen des Verkehrsministeriums. Das BMVI habe in seiner Verteidigungsschrift mitunter widersprüchlich argumentiert und Behauptungen nicht mit Dokumenten belegen können.
Hunderte Millionen Euro in einer Art Schattenhaushalt
Das Ministerium habe bei der Vergabe des Betreibervertrags "das Vergaberecht verletzt", befand der Rechnungshof. Im Oktober 2018 hatte nur ein einziger Bieter ein finales Angebot für die Erhebung der Pkw-Maut abgeben, das spätere Betreiberkonsortium aus Kapsch TraficCom und CTS Eventim. Die Offerte der beiden Unternehmen lag jedoch um eine Milliarde Euro über der Summe, die der Bundestag für das Vorhaben zur Verfügung gestellt hatte.
Das Ministerium führte anschließend "Aufklärungs- und Verhandlungsgespräche" mit den Firmen, um das Angebot unter die Grenze von zwei Milliarden Euro zu drücken. Der Bundesrechnungshof hält dies für "vergaberechtswidrig", denn Verhandlungen über finale Angebote seien "grundsätzlich nicht zulässig". Ferner habe die "finanzielle Höhe des Angebotes" das BMVI veranlassen müssen, das Projekt "insgesamt zu überdenken", heißt es in dem Bericht.
Zudem habe das Ministerium gegen Haushaltsrecht verstoßen, da das nachgebesserte Angebot der Bieter nur formal die bewilligten Mittel eingehalten habe. Der Vertrag habe aber "weitere Vergütungsbestandteile" enthalten, die "in künftigen Jahren zu Ausgaben in dreistelliger Millionenhöhe" geführt hätten. Dabei ging es unter anderem um die Mitnutzung der Zahlstellenterminals des Lkw-Mautbetreibers Toll Collect und eine gesonderte Erstattung der Portokosten des Betreibers. Minister Scheuer lagerte also Hunderte Millionen Euro in eine Art Schattenhaushalt aus, um das CSU-Prestigeprojekt zu retten.
Es kam bekanntlich anders: Am 18. Juni erklärte der Europäische Gerichtshof die deutsche Pkw-Maut für rechtswidrig. Schon der Umgang mit dem Risiko eines negativen EuGH-Urteils sei zweifelhaft gewesen, monieren die Prüfer. Das Ministerium habe keine Unterlagen vorlegen können, wie man das Risiko eines vollständigen Scheiterns bewertet habe. Das Ministerium verwies zwar auf Risikoworkshops, die es durchgeführt habe, wo das Thema besprochen worden sei. "Nachweise hierzu konnte es nicht liefern", so die Prüfer.
Zudem sei das Thema in der regelmäßig tagenden Gesamtprojektleitungsgruppe besprochen worden, hieß es vom Ministerium. Doch auch dieses Argument ließen die Prüfer nicht gelten. Schließlich habe das BMVI das Risiko einer "Verzögerung" des Projekts durch das Vertragsverletzungsverfahren dort als "wesentliches Problem" eingestuft und die Ampel auf "Risikolevel Gelb" gestellt. "Das BMVI stufte das EuGH-Risiko, anders als in der Stellungnahme ausgeführt, nicht als gering ein."
Dem Ministerium war also durchaus bewusst, dass die Infrastrukturabgabe, so der offizielle Titel, scheitern konnte. Trotzdem wurde der Vertrag noch am 30. Dezember 2018 vor dem alles entscheidenden EuGH-Urteil unterschrieben. Damit sich die Firmen überhaupt auf dieses Abenteuer einließen, versprach der Bund hohen Schadensersatz für den Fall eines negativen Urteils der Luxemburger Richter.
Ministerium widerspricht sich
Auf Steuerzahler könnten laut Insidern Kosten über eine halbe Milliarde Euro zukommen. Der Rechnungshof bezifferte die Schadensersatzansprüche nicht, hält die Regelungen im Vertrag aber für nicht angemessen: "Der Auftragnehmer kann selbst kurz nach Abschluss des Vertrags nahezu den vollen unternehmerischen Gewinn über die gesamte Laufzeit fordern, wenn der Vertrag allein aufgrund des EuGH-Urteils gekündigt wird."
Das Ministerium wies die Vorwürfe zurück. Kapsch und Eventim hätten bei einer Kündigung allein aus ordnungspolitischen Gründen - wie im Falle eines negativen EuGH-Urteils - "keinen Anspruch auf den über die gesamte Vertragslaufzeit kalkulierten Gewinn".
Damit widerspricht sich das Ministerium jedoch selbst. Ausweislich einer Ministervorlage, über die der SPIEGEL bereits im September berichtete, hatte das BMVI selbst im Januar 2019 erkannt, das Konsortium sei bei einer Kündigung so zu stellen, als ob "der Vertrag bis zum Ablauf seiner ordentlichen Laufzeit fortgeführt worden wäre". Deswegen bleibt der Rechnungshof bei "seiner Auffassung", dass der Bund schlecht verhandelt habe.
Die Opposition äußert scharfe Kritik am Verkehrsminister: "Andreas Scheuer ist vermutlich der einzige Mensch in Deutschland, der noch immer glaubt, dass er beim Projekt Pkw-Maut alles richtig gemacht hat", sagt der Grünen-Haushälter Sven-Christian Kindler. Er fordert den Rauswurf des CSU-Politikers: "Nachdem der Bundesrechnungshof als unabhängige Prüfbehörde in seinem Bericht eindeutig festgestellt hat, dass Andreas Scheuer bei der Pkw-Maut gegen Haushalts- und Vergaberecht verstoßen hat, muss die Kanzlerin ihn umgehend entlassen."
Schiedsverfahren mit Betreiberfirmen bahnt sich an
Danach sieht es derzeit zwar noch nicht aus. Doch für Scheuer (CSU) wird die gescheiterte Pkw-Maut immer mehr zur Belastung. Im Bundestag laufen die Vorbereitungen für den parlamentarischen Untersuchungsausschuss. Mitarbeiter von Abgeordneten stellen bereits Listen mit Akten und Zeugen zusammen, die bei der Aufklärung des Mautdebakels helfen sollen. Im Januar sollen die ersten Zeugen vernommen werden.
Zudem bahnt sich ein Schiedsverfahren mit den Betreiberfirmen an. Der Bund hatte sich entschlossen, etwaige Rechtsstreitigkeiten nicht vor einem ordentlichen Gericht zu führen, sondern vor einem privaten Schiedsgericht, hinter verschlossenen Türen. Auch hieran äußert der Bundesrechnungshof heftige Kritik. Die Erfahrungen bei der Lkw-Maut hätten gezeigt, dass solche privaten Schiedsverfahren völlig aus dem Ruder laufen können. Damals seien Kosten für Rechtsberater in Höhe von 250 Millionen Euro angefallen. Das Ministerium verwies zwar darauf, dass es dieses Mal ein anderes Verfahren gewählt habe, damit der Streit zügiger beigelegt werde.
Doch auch dies ließen die Prüfer nicht vollends gelten. Man bleibe dabei, dass das Verkehrsministerium als Teil der öffentlichen Hand den ordentlichen Rechtsweg wählen sollte. Allein schon, um die "Transparenz öffentlichen Handelns" zu wahren.
2019-11-18 12:47:00Z
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