Das Klimaaktionsbündnis Extinction Rebellion hat am Montagmorgen in Berlin seine Protestaktion für mehr Klimaschutz gestartet. Nach Angaben des Bündnisses versammelten sich rund tausend Aktivisten an der Siegessäule. Seit vier Uhr blockierten die Demonstranten alle Straßen rund um den Großen Stern, teilte die Gruppe mit.
Die Polizei sperrte den Verkehr um den Stern weiträumig ab, Autos wurden umgeleitet. Laut Polizisten vor Ort gab es keinen Stau. „Sind halt Ferien“, sagte ein Beamter am Morgen achselzuckend. Die Polizei schätzte die Zahl der Demonstrationsteilnehmer auf 1000, die Veranstalter sprachen von 1200. Am späten Vormittag begann auch eine Kundgebung auf dem Potsdamer Platz. Videos zeigten Menschengruppen, die sich mit Tischen, Stühlen und Topfpflanzen auf der Kreuzung versammelten. Die Polizei sprach dort zunächst von 300 Teilnehmern.
Vor der Siegessäule hielt am Mittag die Kapitänin der „Sea Watch 3“, Carola Rackete, eine Rede. Rackete kritisierte die Klimapolitik der Bundesregierung scharf und zog einen Vergleich mit dem Sterben von Flüchtlingen im Mittelmeer. Die „Untätigkeit der deutschen Regierung“ verurteile Menschen auf der ganzen Welt und zukünftige Generationen „zum Tode durch unterlassene Hilfeleistung“ – und zwar, so Rackete weiter, „wie sie es aktuell mit den Flüchtenden überall auf dem Mittelmeer tut“.
Rackete sagte, sie empfinde es als moralische Verpflichtung, gegen diese „zerstörerische Politik“ zu protestieren. Die Zerstörung der Ökosysteme stelle eine existenzielle Krise dar, die sich immer schneller verstärke. „Es ist mehr als Zeit, dass die Regierung die Wahrheit sagt und den ökologischen Notstand ausruft.“
Carola Rackete hatte Ende Juni für Aufsehen gesorgt, als sie mit mit 40 Flüchtlingen an Bord trotz ausdrücklichen Verbots des damaligen italienischen Innenministers Matteo Salvini den Hafen der Mittelmeerinsel Lampedusa angelaufen hatte.
Berlins Innensenator Andreas Geisel hat ein Vorgehen „mit Augenmaß“ gegen die Aktivisten angekündigt. Man werde sich die Versammlungen anschauen und einige auch eine Weile gewähren lassen, sagte der SPD-Politiker dem Inforadio des RBB. „Es ist ja so, dass wir Blockaden, Veranstaltungen durchaus als spontane Demonstrationen werten können, die ja nach Demonstrationsrecht zulässig sind“, sagte Geisel weiter.
Man sei aber auch bereit, energischer vorzugehen, wenn etwa Gewalt angewendet werde oder kritische Infrastrukturen wie der Flughafen betroffen seien. Die Demonstranten verteilten Handzettel an die Polizei mit dem Hinweis, dass sie die Erde gewaltfrei retten wollten. „Wir bitte Euch: Respektiert unsere körperliche Unversehrtheit!“, hieß es auf den Zetteln.
Mit Blockaden und anderen Protestaktionen will die Umweltschutzbewegung von Montag an nicht nur in Berlin, sondern auch in anderen Großstädten in aller Welt auf die drohende Klimakatastrophe aufmerksam machen. Aktionen soll es unter anderem in London, Paris, Madrid, Amsterdam, New York, Buenos Aires sowie in den australischen Städten Sydney, Melbourne und Perth geben. Die Aktionen sollen mindestens eine Woche lang andauern. Wie genau sie dabei vorgeht, soll erst wenige Minuten vor Beginn der größtenteils unangemeldeten Aktionen bekannt gegeben werden.
Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) verurteilt die Protestblockaden. „Das geht natürlich gar nicht“, sagte Braun am Montag im „Morgenmagazin“ des ZDF. „Das Anliegen des Klimaschutzes, das teilen wir ja alle“, argumentierte der CDU-Politiker. Doch die Ankündigung gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr sei nicht akzeptabel.
„Wir stören den alltäglichen Betriebsablauf“
Extinction Rebellion (auf Deutsch etwa: Rebellion gegen das Aussterben) kommt ursprünglich aus Großbritannien. Nach eigenen Angaben gibt es die Gruppe seit November vorigen Jahres auch in Deutschland. Sie fordert unter anderem, dass die nationalen Regierungen sofort den Klimanotstand ausrufen. Alle politischen Entscheidungen, die der Bewältigung der Klimakrise entgegenstünden, müssten revidiert werden. Schon bis 2025 müssten die vom Menschen verursachten Treibhausgas-Emissionen auf netto null senken, verlangt die Gruppe. Zu den Blockaden erklärt die Gruppe: „Wir stören den alltäglichen Betriebsablauf, der unsere Lebensgrundlagen zerstört. Wir setzen den Protest so lange fort, bis die Regierungen angemessen reagieren.“
Eva Escosa-Jung von Extinction Rebellion sagte zu der ersten Aktion in Berlin: „Heute beginnt die weltweite Rebellion gegen das Aussterben. Wir stören, weil wir keinen anderen Weg sehen, um den umfassenden und tiefgreifenden Wandel herbeizuführen, der das Klima rettet.“ Die Klimapolitik der Regierung habe versagt. „Wälder brennen, die Meeresspiegel steigen, die Ozeane übersäuern und weltweit sterben Wildtiere massenhaft aus – der Menschheit droht eine lebensbedrohende Katastrophe.“ Extinction Rebellion wende keine Gewalt, sondern Kreativität an. Am Mittag (12.05 Uhr) werde die als Seenotretterin von Flüchtlingen bekannt gewordene Carola Rackete an der Siegessäule eine Rede halten.
In Berlin wollen die Aktivisten am Montag zudem mit einem Marsch gegen das Artensterben aufmerksam machen. Am Mittag soll es dann auch am Potsdamer Platz eine zentrale Veranstaltung geben, von der aus weitere Aktionen ausgehen sollten. Zur gleichen Zeit soll an einem zunächst nicht bekannt gegebenen Ort im Regierungsviertel eine pinke Arche aufgestellt werden, die an das Artensterben erinnern soll. U- und S-Bahnverkehr sollten verschont bleiben. Ob sich Extinction Rebellion auf die Straße konzentriert oder auch die Berliner Flughäfen ins Visier nimmt, wollten die Organisatoren nicht verraten.
Anders als andere Bewegungen wie Greta Thunbergs Fridays for Future, sind die Aktivisten von Extinction Rebellion nach eigenen Angaben bereit, Gesetze zu brechen, um ihren Forderungen Nachdruck zu verleihen. Legale Demonstrationen und parlamentarische Prozesse hätten in den vergangenen 30 Jahren nicht zu den nötigen Veränderungen im Klimaschutz geführt, sagten die Veranstalter am Freitag. Dabei betonten sie allerdings stets, dass sämtliche Aktionen friedlich ablaufen sollten. Dafür sollten unter anderem Mediatoren sorgen, die Konflikte zwischen den Aktivisten und anderen – etwa Polizisten oder aufgehaltenen Autofahrern – während der Aktionen vermeiden sollten.
Die Regierungspartei SPD reagierte aufgeschlossen auf die Ankündigungen. „Ich verstehe die Ungeduld von vielen“, sagte die Interims-Parteivorsitzende Malu Dreyer der Deutschen Presse-Agentur in Berlin. „Ich begrüße frühzeitige Aktionen jeglicher Art, die die Dringlichkeit der Aufgabe deutlich machen.“ Zugleich mahnte sie: „Natürlich gilt für alle, dass es gewaltfrei bleiben muss.“
Warnung vor „antidemokratischen Zügen“ der Forderungen
Die FDP hingegen warnte vor antidemokratischen Zügen der Bewegung. „Über die extremen Forderungen zum Klimaschutz hinaus stellen Aktivisten der Gruppierung offen die Demokratie in Frage“, sagte Parteichef Christian Lindner der Deutschen Presse-Agentur. „Klimaaktivisten und Grüne sollten sich von den antidemokratischen und teils totalitären Äußerungen aus dieser Gruppierung distanzieren.“ Klimaschutz sei keine Entschuldigung für Gewalt, die bei Blockaden ihren Ausgangspunkt nehme, sagte der Liberale.
Auch der Grünen-Politiker Boris Palmer kritisierte Extinction Rebellion. „Es gibt gute Gründe, endlich entschiedenes Handeln für den Klimaschutz zu fordern. Wer aber Demokratie und Rechtsstaat dafür über Bord wirft, wird ziemlich sicher auch den Kampf gegen den Klimawandel verlieren. Protest ja, Rebellion nein“, sagte der Tübinger Oberbürgermeister der „Bild“-Zeitung.
Jutta Ditfurth, ehemaliges Mitglied der Grünen und Mitbegründerin der Splitterpartei Ökolinx, distanzierte sich auf Twitter von der Bewegung. „Ich rate davon ab, mit Extinction Rebellion zusammenzuarbeiten und an den Aktionen von Extinction Rebellion (XR) am 7.10. in Berlin teilzunehmen“, schrieb sie am Sonntag. Extinction Rebellion schüre Emotionen, „die den Verstand vernebeln“. Kinder und Jugendliche sollten sich lieber an Aktionen von Fridays for Future beteiligen, „sofern diese nicht mit XR zusammenarbeiten“.
Das Verhalten während der Aktionen war auch Thema in einem sogenannten Klimacamp, das die Aktivisten bereits am Samstag im Berliner Regierungsviertel aufgeschlagen hatten. In Workshops und Diskussionsveranstaltungen bereitete Extinction Rebellion die Teilnehmer auf Demonstrationen und andere Protestformen vor. Bis zu 3000 Menschen kamen am Sonntag in das Camp zwischen Reichstag und Kanzleramt. Für die Proteste ab Montag in Berlin erwarteten die Veranstalter „Tausende Menschen“ aus Deutschland, Polen, Dänemark und Schweden.
2019-10-07 11:29:00Z
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