Großbritannien bittet Deutschland um Hilfe in der Tanker-Krise mit Iran. Berlin signalisiert Zustimmung - und das ist nicht ohne Risiko: Die nächste Eskalation ist wohl nur eine Frage der Zeit. Drei Szenarien.
44 Wörter musste Annegret Kramp-Karrenbauer am Mittwoch sagen, dann war sie als Verteidigungsministerin vereidigt. Bundestagspräsident Wolfgang Schäuble hielt sich im Anschluss an die Zeremonie und die darauffolgende Debatte ebenfalls kurz. Er verabschiedete die aus dem Urlaub zurückgekehrten Parlamentarier nach der Sondersitzung mit den Worten: "Wir sehen uns am 10. September."
Möglicherweise werden die Abgeordneten aber schon vorher wieder in die Hauptstadt beordert. Der Grund: die Iran-Krise.
Denn bei einer Sondersitzung des Auswärtigen Ausschusses hat Heiko Maas am Mittwoch nach Angaben von Teilnehmern erklärt, die Bundesregierung sei gewillt, sich an einer Marinemission im Persischen Golf zu beteiligen. Zwar legte der Außenminister Wert darauf, dass es um Aufklärung im Rahmen einer Koalition der Willigen gehe und nicht um eine robuste Schutzmission, wie sie von den USA mit der "Operation Sentinel" unlängst ins Spiel gebracht worden war. Auch Kramp-Karrenbauer schließt einen Hormus-Einsatz nicht grundsätzlich aus.
Gleichwohl ist für einen Bundeswehreinsatz die Zustimmung des Bundestags notwendig. Sollte der Nervenkrieg in der strategisch bedeutsamen Straße von Hormus weiter eskalieren, könnte es daher nötig werden, dass das Parlament vor dem 10. September über einen Bundeswehreinsatz entscheidet.
Wie realistisch ist das?
Erstes Szenario: Eskalation in der Straße von Hormus
Die neue britische Regierung hat bekanntgegeben, dass sie Frachtschiffe unter britischer Flagge künftig von der Royal Navy durch die Straße von Hormus eskortieren lassen will. Diese Entscheidung ist eine Reaktion auf die Festsetzung des britischen Tankers durch die iranischen Revolutionswächter in der vergangenen Woche. Teheran will so einen iranischen Tanker freipressen, den die britische Marine Anfang Juli vor Gibraltar festgesetzt hatte. Irans Präsident Hassan Rohani hat in dieser Woche einen Austausch der Schiffe angeregt. London lehnt das bisher ab und verweist darauf, dass beide Fälle nicht vergleichbar seien, weil die britische Marine mit der Festsetzung des iranischen Tankers EU-Sanktionen durchsetze.
Die Regierung in Teheran lehnt indes ihrerseits eine internationale Schutzmission für die Handelsschifffahrt vor ihrer Küste rigoros ab.
Die aktuelle Krise weckt Erinnerungen an die Achtzigerjahre . Im sogenannten Tankerkrieg während des Ersten Golfkriegs griff der Irak fast 300 Schiffe an, die iranisches Öl transportierten. Iran attackierte seinerseits fast 200 Schiffe mit irakischem Öl. Auf Bitten des damals noch mit dem Irak verbündeten Emirats Kuwait starteten die USA die Operation "Earnest Will" und eskortierten fortan kuwaitische Tanker unter US-Flagge durch die Straße von Hormus, die damals den Beinamen "Raketenallee" hatte.
Als ein US-Marineschiff durch eine iranische Seemine beschädigt wurde, griffen die Vereinigten Staaten iranische Ölplattformen und Kriegsschiffe an - und schossen versehentlich ein ziviles Passagierflugzeug der "Iran Air" ab. Alle 290 Passagiere kamen ums Leben.
Wahrscheinlichkeit: gering
Zweites Szenario: Ausdehnung des Milizenkrieges in der Region
Um weiter Druck auf den Westen und seine Verbündeten im Nahen Osten aufzubauen, könnte das Regime in Teheran versuchen, nicht nur sein Raketen- und Atomprogramm weiter voranzutreiben, sondern auch den hybriden Schattenkrieg in der Region mit Hilfe seiner schiitischen Milizen auszuweiten:
- Die iranischen Revolutionswächter und die libanesische Hisbollah-Miliz haben sich im syrisch-israelischen Grenzgebiet eingegraben. Erst in der Nacht zu Mittwoch kam es zu einem Zwischenfall: Bei einem mutmaßlich israelischen Angriff auf eine Stellung irantreuer Guerilla-Gruppen nahe der Golanhöhen gab es sechs Verletzte.
- Irans oberster Führer Ajatollah Ali Khamenei empfing vor wenigen Tagen eine hochrangige Delegation der radikalislamischen Hamas. Die im Gazastreifen herrschende Palästinensergruppe könnte ihre Angriffe auf Israel wieder intensivieren.
- Im Jemen hat sich der Bürgerkrieg zu einem Patt entwickelt. Die Vereinigten Arabischen Emirate haben den Großteil ihrer eigenen Truppen abgezogen. Für die mit Teheran verbündeten Huthi-Milizen ist das ein Erfolg. Saudi-Arabien bleibt aber weiter mit eigenen Truppen vor Ort. Die Huthis könnten deshalb noch mehr Drohnenangriffe auf das sunnitische Königreich fliegen als bisher.
Zudem haben die Vereinigten Staaten und Großbritannien rund um Iran Tausende Soldaten stationiert: In der Türkei, im Irak, in Syrien, Kuwait, Saudi-Arabien, Bahrain, Katar, den Vereinigten Arabischen Emiraten, dem Oman und Afghanistan. Die US-Regierung warnt seit Monaten davor, dass mit Teheran verbündete Milizen westliche Botschaften Militärstützpunkte in der Region angreifen könnten.
Wahrscheinlichkeit: hoch
Drittes Szenario: Wandel durch diplomatische Annäherung
Im Sultanat Oman, das mit einer Exklave an die Straße von Hormus grenzt, leben gerade einmal 4,5 Millionen Menschen. Machthaber Qabus ibn Said mischt dennoch bei allen Krisen im Nahen Osten mit. Er ist ein diplomatisches Schwergewicht. Sein Außenministerium drängte Großbritannien und Iran in dieser Woche zu einer diplomatischen Lösung.
Beide Länder zeigten sich öffentlich unbeeindruckt. Im Streit mit London sind aus Teheran dieser Tage unterschiedliche Stimmen zu vernehmen. Konservative Medien attackierten den neuen britischen Premierminister Boris Johnson als "Trump Nummer 2", während Außenminister Mohammad Javad Zarif dem neuen Regierungschef gratulierte. Zugleich warnte er jedoch vor der geplanten Marinemission. "Das sind unsere Gewässer, und wir werden sie schützen", twitterte Zarif.
Die beiden schärfsten und mächtigsten Iran-Gegner in der US-Regierung, Donald Trumps Nationaler Sicherheitsberater John Bolton und Außenminister Mike Pompeo, haben sich zuletzt auffällig mit Drohungen gegen Teheran zurückgehalten.
Doch spätestens wenn die europäische Marinemission konkret werden sollte, wird der Fokus wieder auf Washington gerichtet sein, zumal auch die iranfreundlichen Regierungen in China und Russland an einer baldigen Deeskalation interessiert sind. Bolton und Pompeo haben hingegen deutlich gemacht, dass sie einen Regimewechsel in Iran anstreben. Trump haben sie nicht überzeugen können - bislang.
Wahrscheinlichkeit: eher gering
2019-07-27 07:57:00Z
https://www.spiegel.de/politik/ausland/iran-versus-usa-und-grossbritannien-nervenkrieg-am-golf-a-1278630.html
Lesen Sie später weiter >>>>
Bagikan Berita Ini
0 Response to "Iran-Krise: Nervenkrieg am Golf - SPIEGEL ONLINE"
Post a Comment