Zuerst Ex-VW-Boss Winterkorn, nun der frühere Audi-Chef Stadler: Immer mehr Topmanager der deutschen Autobranche werden angeklagt. Doch wem wird was vorgeworfen? Und welche Verfahren laufen noch?
Rupert Stadler war einst Boss eines der angesehensten deutschen Autobauer. Nun soll sich der frühere Audi-Chef vor Gericht verantworten. Die Staatsanwaltschaft München II hat im Dieselskandal Anklage gegen den 56-Jährigen erhoben - und wirft ihm unter anderem Betrug vor.
Außer in Bayern gehen Strafverfolger auch in den anderen deutschen Autoländern gegen aktuelle und frühere Automanager wegen der Abgasmanipulationen vor. Zusätzlich zu möglichen Schadensersatzansprüchen von Verbrauchern und Aktionären gegenüber Unternehmen und zusätzlich zu von Behörden verhängten Bußgeldern müssen sie sich persönlich in der Affäre verantworten - und mit teils langen Gefängnisstrafen rechnen.
Folgende Unternehmen und Personen hat die deutsche Justiz im Visier:
Volkswagen
Da ist zum einen Ex-Konzernchef Martin Winterkorn, der in seinem letzten Dienstjahr mehr als 15 Millionen Euro verdiente, gegen den die Staatsanwaltschaft in Braunschweig unter anderem wegen schweren Betrugs im April 2019 Anklage erhoben hat. Autokäufer seien wissentlich und willentlich getäuscht worden. Dem 72-Jährigen wird in dem Verfahren auch ein Verstoß gegen das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb sowie Untreue vorgeworfen, da er die laut Anklage illegalen Manipulationen an Dieselmotoren nicht gestoppt und offengelegt haben soll. Er bestreitet die Vorwürfe.
Gemeinsam mit Winterkorn sind vier weitere Führungskräfte angeklagt. Die Staatsanwaltschaft macht ihm und den übrigen Managern schwere Vorwürfe: "Von dem wirtschaftlichen Erfolg des Unternehmens hing letztlich auch das Einkommen der Angeschuldigten, insbesondere deren vertraglich vorgesehene Bonuszahlung, ab."
Diese Anklage dürfte jedoch nur die Spitze des Eisbergs in dem Verfahren sein. Insgesamt sind darin mehr als 40 Manager und Techniker verwickelt, die an der Manipulation von Dieselmotoren beteiligt gewesen sein sollen. In den USA wiederum sind die beiden Ex-VW-Manager Oliver Schmidt und James Liang wegen der Manipulationen bereits zu Haftstrafen verurteilt worden, auch gegen Winterkorn liegt ein Haftbefehl vor, die US-Behörden ermitteln zudem gegen weitere VW-Manager.
In einem zweiten Verfahrensstrang wird zum anderen auch gegen den aktuellen VW-Chef Herbert Diess ermittelt. In dem Ermittlungsverfahren geht es um Marktmanipulation - also um die Frage, zu welchem Zeitpunkt der Dieselskandal in der Führung der Aktiengesellschaft bekannt war und wann sie darüber die Aktionäre und die Behörden über die drohenden finanziellen Belastungen hätte informieren müssen.
Neben Diess ermittelt die Anklagebehörde in diesem Verfahrensstrang auch gegen den Aufsichtsratsvorsitzenden Hans Dieter Pötsch - und erneut gegen Winterkorn. Alle drei bestreiten die Vorwürfe.
Audi
Bei der Staatsanwaltschaft München II sind die Ermittlungsverfahren gegen Mitarbeiter der VW-Tochter Audi gebündelt. Ex-Chef Rupert Stadler wird dabei vorgeworfen, "spätestens ab Ende September 2015 von den Manipulationen Kenntnis gehabt" und noch lange danach betroffene Fahrzeuge vertrieben zu haben. Ermittler durchsuchten deshalb auch sein Privathaus und hörten sein Telefon ab. Von Juni bis Oktober 2018 saß er in Untersuchungshaft, seither ist er unter strengen Auflagen frei. Stadler hat eine Mitwisserschaft oder Beteiligung an Dieselmanipulationen stets bestritten.
Gemeinsam mit Stadler wurden nun der frühere Chef der Motorenentwicklung Wolfgang Hatz und zwei Ingenieure angeklagt. Sie sollen die Motoren mit der unzulässigen Software entwickelt haben. Hatz hat die Vorwürfe über seine Anwälte stets zurückweisen lassen. Er hatte ebenfalls mehrere Monate in U-Haft verbracht.
Neben diesen vier Angeklagten gibt es derzeit noch 23 weitere Beschuldigte, darunter ein amtierender Vorstand. Nicht gegen alle wird voraussichtlich Anklage erhoben, einige könnten mit Bußgeldern oder Freisprüchen davonkommen. Gegen Audi als Unternehmen hat die Staatsanwaltschaft ein Bußgeld in Höhe von 800 Millionen Euro verhängt. Audi teilte mit, bei der Aufklärung der Vorgänge eng mit den Behörden zusammenarbeiten zu wollen.
Porsche
Noch keine Anklagen gibt es gegen Beschäftigte des Sportwagenherstellers Porsche. Die Staatsanwaltschaft ermittelt aber gegen mindestens drei Mitarbeiter, darunter Entwicklungsvorstand Michael Steiner. Er weist die Vorwürfe zurück und gibt an, zur Aufklärung der Dieselmanipulation beigetragen zu haben.
Porsche bezog Motoren, deren Abgasreinigung manipuliert wurde, von Audi, soll aber auch selbst an dem Betrug beteiligt gewesen sein. Das Unternehmen bekam bereits ein Bußgeld von gut einer halben Milliarde Euro auferlegt.
Daimler
Die Staatsanwaltschaft Stuttgart ermittelt auch im Fall des Premiumherstellers Daimler. Beschuldigt werden derzeit mindestens vier Mitarbeiter. Ihnen wird Betrug und strafbare Werbung vorgeworfen. Das Verfahren ist noch nicht so weit fortgeschritten wie die Verfahren gegen Mitarbeiter des VW-Konzerns. Ob die Ermittlungen künftig womöglich auch auf Vorstandsmitglieder ausgedehnt werden, ist unklar.

Daimler-Konzernzentrale in Stuttgart: Hunderttausende Autos zurückgerufen
Das Kraftfahrt-Bundesamt hat jedenfalls bisher den Rückruf von rund 700.000 Mercedes-Dieselfahrzeugen angeordnet, davon 238.000 in Deutschland, weil die Fahrzeuge wegen einer unzulässigen Abschalteinrichtung zu viel Stickoxid ausstießen. Daimler behauptet, das Drosseln der Abgasreinigung sei zum Motorschutz nach EU-Recht erlaubt. Auch gegen Daimler läuft bei der Staatsanwaltschaft ein Bußgeldverfahren. Die US-Justiz ermittelt ebenfalls gegen Daimler.
Bosch
Ermittelt wird bei der Staatsanwaltschaft in Stuttgart auch gegen Mitarbeiter des Autozulieferers Bosch. Der Konzern hat eine Art Software-Baukasten an VW, Audi und andere, auch internationale Hersteller geliefert. Auf Basis dieser Software war die Manipulation der Abgasreinigung möglich. Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen mehr als ein halbes Dutzend Bosch-Mitarbeiter, sie sollen an dem Abgasbetrug mitgewirkt haben.
Bosch hat die Ermittler mit umfangreichen Dokumenten versorgt, auch in den Verfahren gegen verschiedene Autohersteller. Was die eigene Rolle angeht, so steht das Unternehmen auf dem Standpunkt, die entscheidenden Parameter der Software seien von den Autoherstellern eingestellt worden, nicht vom Zulieferer. Doch auch gegen Bosch läuft ein Bußgeldverfahren. Für Rechtsrisiken, vor allem im Zusammenhang mit dem Dieselskandal, hat Bosch zudem insgesamt 1,2 Milliarden Euro zurückgelegt. In den USA hat das Unternehmen bereits einen mehrere hundert Millionen Dollar teuren Vergleich geschlossen, sieht dies jedoch nicht als Schuldeingeständnis.
Opel
Der Rüsselsheimer Hersteller, der inzwischen zum französischen Autokonzern PSA gehört, steht im Verdacht, die Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen mit der Abgasnorm Euro 6 manipuliert zu haben. Im Oktober 2018 durchsuchten Ermittler Unternehmensräume von Opel.
Eine Anzeige des Kraftfahrt-Bundesamtes bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt hatte das Verfahren ins Rollen gebracht. Opel bestreitet die Vorwürfe.
BMW
Ein Ermittlungsverfahren gegen BMW hat die Staatsanwaltschaft München I im Februar eingestellt. Der Verdacht des Abgasbetrugs bei zwei Modellreihen habe sich nicht bestätigt.
BMW musste allerdings ein Bußgeld von 8,5 Millionen Euro wegen unzureichender Qualitätssicherung zahlen, bei knapp 8000 Fahrzeugen hatte die Abgasreinigung nicht vorschriftsmäßig funktioniert.
EU-Kartellverfahren gegen deutsche Autohersteller
Die EU-Kommission hat am 18. September 2018 ein formelles Verfahren gegen VW, Daimler, Audi, Porsche und BMW eröffnet. Im Sommer 2017 hatte der SPIEGEL aufgedeckt, dass die fünf Hersteller sich über viele Jahre in Arbeitskreisen bei der Entwicklung verschiedener Technologien abgestimmt haben.
Anfang April dieses Jahres engte die EU-Kommission das Verfahren ein. Der Hauptvorwurf nun: Die fünf Hersteller sollen sich über die Größe von Ad-blue-Tanks abgestimmt haben, den Behältern für den Harnstoff, der für die Abgasreinigung bei Dieselfahrzeugen gebraucht wurde. So sei den Verbrauchern eine schon verfügbare, bessere Abgasreinigung vorenthalten worden. Daimler und VW haben sich selbst angezeigt, um als Kronzeugen mit geringeren Strafen davonzukommen. BMW wehrt sich gegen die Vorwürfe.
2019-07-31 13:58:00Z
https://www.spiegel.de/wirtschaft/unternehmen/diesel-affaere-die-strafakten-der-autobosse-a-1279809.html
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